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Exkurs : die österreichische Emigration in den USA
Tatsächlich verliefen die vertiefte inhaltliche Auseinandersetzung mit der Problematik der
„Reeducation“ beziehungsweise „Reorientation“ und die Ausarbeitung militärischer Besat-
zungsszenarien , wie noch zu zeigen sein wird , gewissermaßen in getrennten Regelkreisen
–
eine Transmission der elaborierten Sach- und Fachdiskussion auf ziviler Expertenebene in
die militärischen Planungsstäbe fand weder auf personeller noch auf inhaltlich-konzep-
tioneller Ebene statt. Es waren daher primär akademische Zirkel und Vereinigungen im
Dunstkreis amerikanischer Universitäten oder Colleges wie das New Yorker Hunter Col-
lege , Zusammenschlüsse von Schriftstellern wie zum Beispiel das „Writers’ War Board“,760
die bereits erwähnten großen , privaten philanthropischen US-Bildungsvereinigungen so-
wie zivilgesellschaftlich-pazifistische Initiativen wie die von Friedrich Wilhelm Foerster
und Isidore Lipschutz gegründete „Society for Prevention of World War III“,761 die sich
intensiv mit Fragen einer demokratischen Nachkriegsordnung Europas auseinandersetzten.
Exkurs : die österreichische Emigration in den USA
– ein kultur- und
bildungspolitisch folgenloses Kapitel für die Nachkriegsplanungen
Den Daten der US-Volkszählung aus dem Jahr 1940 zufolge lebten rund 1,2 Millionen
Personen in den USA , die entweder selbst in Österreich-Ungarn geboren waren , oder
zumindest einen dort geborenen Elternteil hatten ; von diesen gaben 479. 000 Personen
Österreich als ihr Geburtsland an – zwei Drittel dieser Gruppe waren bereits US-Staats-
bürger.762 Davon waren geschätzte 40. 000 Österreicherinnen und Österreicher nach dem
„Anschluss“ 1938 in die Vereinigten Staaten von Amerika emigriert.763
760 Siehe : Astrid M. Eckert , Feindbilder im Wandel : Ein Vergleich des Deutschland- und Japanbildes ( Stu-
dien zur Geschichte , Politik und Gesellschaft Nordamerikas , Bd. 13 ), Münster 1999 , 45.
761 Mitglieder dieser prononciert antinazistischen Gesellschaft , die ein eigenes Monatsblatt ( Prevent World
War III ) herausgab , waren unter anderen der ehemalige Deutschland-Korrespondent Edgar A. Mowrer ,
William L. Shirer oder George Creel. Siehe : Astrid M. Eckert , Feindbilder im Wandel : Ein Vergleich des
Deutschland- und Japanbildes ( Studien zur Geschichte , Politik und Gesellschaft Nordamerikas , Bd. 13 ),
Münster 1999 , 45. In der Präambel plädierte die Gesellschaft für eine kompromisslose Vorgehensweise
bei nachfolgenden ‚Säuberungsmaßnahmen‘ : „The widespread habit of setting the Nazis apart from the
German people results from an inadequate knowledge of German history. [ … ] The forces in Germany
that raised Hitler to power and have maintained him , are identical forces that stood behind Bismarck and
Kaiser Wilhelm. Any treatment of the enemy , after military victory , which does not destroy those forces
will leave Germany as strong and dangerous as ever.“ Zit. nach : ebd., 47.
762 Foreign Nationality Groups in the United States. A Handbook ( revised edition ), April 1945 , 18 ff. Zit. nach :
Siegfried Beer , Exil und Emigration als Information. Zur Tätigkeit der Foreign Nationalities Branch ( FNB )
innerhalb des amerikanischen Kriegsgeheimdienstes COI bzw. OSS , 1941–1945. In : Jahrbuch 1989. Doku-
mentationsarchiv des österreichischen Widerstandes. Redaktion : Siegwald Ganglmair , Wien 1989 , 137.
763 Siehe : The Austrians. Foreign Politics in the United States. Foreign Nationalities Branch. Office of the
Coordinator of Information , August 1942 , a. a. O., 8.
Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
- Untertitel
- US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
- Autor
- Christian H. Stifter
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 762
- Schlagwörter
- US-Reorientierung, Amerika, USA, Besatzungszeit, Demokratisierung, Amerikanisierung, Entnazifizierung, Kalter Krieg, Österreich, Universität, Wissenschaft, Wien
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorbemerkung 11
- Einleitung 15
- 1. Images , Stereotype und Vorurteile – Herkunft und Veränderung der kulturellen Geringschätzung der USA in Europa seit dem 18. Jahrhundert 31
- 2. „ Education for Victory“ – US-Demokratisierungs-Konzepte und die zivilen Reeducation-Planungen für ein post-totalitäres Europa , 1941–1945 97
- „Education in Wartime“ – Nationalsozialismus als Fundamentalbedrohung der US-amerikanischen Zivilgesellschaft 99
- „Our Country’s Call to Service“ – konkrete Auswirkungen des Verteidigungs- und Abwehr-Diskurses 107
- Binnenamerikanische Reeducation : Stärkung nationaler Moral , Militarisierung des Bildungswesens und Bildungsreform 108
- Educational Reconstruction – Überlegungen und Konzepte 1942–1943 / 44 zur Demokratisierung nach Kriegsende 138
- „What to do with the mentally ill Germans ?“ Ursprünge , Entwicklung und Veränderungen der zivilen Reeducation-Konzepte , 1940–1944 157
- Exkurs : die österreichische Emigration in den USA – ein kultur- und bildungspolitisch folgenloses Kapitel für die Nachkriegsplanungen 175
- Spätphase der zivilgesellschaftlichen Überlegungen und Konzepte zur Reeducation und Reorientation 1943 / 44–1945 – langfristige Reorientierung als Paradigma 201
- Missing Link : Fehlende Umsetzung der Reorientierungs-Konzepte in die militärischen Planungen , 1943–1945 210
- „Takeover“ durch die U.S. Army : Wirrwarr und Kompetenzgerangel – Ausdünnung der Reorientation auf ‚unpolitische‘ Säuberungsmaßnahmen 210
- Randnotiz zu einem fehlgeschlagenen Experiment der US-Armee – POW-Camps zur Reeducation 228
- Zur Rolle Österreichs in der Reeducation-Planung der US-Militärstäbe 1943 / 44–1945 239
- Österreich – ein unklarer Planungsfaktor alliierter Politik bis 1944 / 45 239
- Militärisch-gremiale Detailplanung für Österreich – Administrationsunterlagen ohne Reorientation als Ergebnis 248
- 3. Beginn der US-Reorientierung nach 1945 – die Education Division als zentrale US-Militärbehörde 265
- 4. „ The democratic way of life in Austria“ – erste Umsetzungsphase bis zum Nationalsozialistengesetz 1947 : Zwischen Laissez Faire , strenger Observation und milder Beurteilung 277
- Kooperation statt Intervention und die Folgen für die Entnazifizierung im Bildungsbereich : das Fallbeispiel Universität 277
- Ausgangslage : Perspektive nötiger ‚Säuberungsmaßnahmen‘ 277
- Bestimmungen zur Entnazifizierung in US-Planungsdirektiven 288
- Die Ausgangssituation an den Universitäten im Frühjahr 1945 292
- Personalsäuberungen durch „Sonderkommissionen“ und deren Senate 318
- Entnazifizierung am Beispiel der Universität Wien 346
- Rückkehr unerwünscht ? – Maßnahmen zur Rückholung österreichischer WissenschafterInnen aus der Emigration 365
- Fallbeispiel : Ernst Karl Winter ( 1895–1959 ) 373
- Fallbeispiel : Hans Kelsen ( 1881–1973 ) 393
- Fallbeispiel : Felix Ehrenhaft ( 1879–1952 ) 404
- Wissenschaftspolitische Restauration und amerikanisch- österreichische Beziehungen. Ein Zwischenresümee 410
- Rahmenrichtlinien und Entnazifizierung der Studentenschaft an Österreichs Universitäten 427
- ÖH-Wahlen November 1946 : erste Großdemonstration gegen „nazistische Umtriebe“ in der Zweiten Republik und die Folgen 448
- Auswirkungen der Hochschulkrawalle : Turbulenzen im Alliierten Rat , Re-Screening der Studierenden und Lehrkräfte 477
- Turnaround in der Entnazifizierungspolitik – Kontroverse zwischen State Department und War Department 502
- 5. US-Reorientierungs-Planungen im Frühen Kalten Krieg : Zwischen Popularisierung des „American Way of Life“ und Psychologischer Kriegsführung , 1947–1950 517
- Longe Range Policy 1946 / 47 – Paradigmenwechsel : langfristige zivile Reorientierungs-Konzepte anstelle militärischer Kontrolle 517
- Elitenbildung über „Austauschprogramme“: zentrales Element der besatzungspolitisch auf gewer teten US-Reorientierung ab 1947 / 48 548
- Die ideologische Überformung der US-Reorientierung durch Propagandakampagnen des Kalten Krieges 562
- Cultural Exchange – Rahmenbedingungen der US-Kulturoffensive 562
- Reorientierung und psychologische Kriegsführung : „War of ideas“ – „Campaign of Truth“ – „Struggle for Minds“ 573
- 6. Endphase der Besatzung : Akademische Austauschprogramme und ihre Umsetzung in Österreich , 1950–1955 595
- Beginn der „U.S. Exchange“-Programme – Seltsamkeiten und Pannen 595
- Kurzer Exkurs : das Salzburg-Seminar – akademische Freiheit mit Hindernissen 609
- Umstrukturierung und Expansion : neuer Anlauf unter Supervision des U.S. Department of State 616
- Übernahme durch das State Department – Instrumentalisierung des „Exchange-Program“ als Teil der psychologischen Kriegsführung gegen die Sowjetunion 625
- ‚Phasing out‘ – zivile Verwaltung und Beginn der Normalisierung 638
- Schlussbemerkung 655
- Quellenverzeichnis 665
- Literaturverzeichnis 673
- Verzeichnis der Abkürzungen 735
- Personenverzeichnis 741