Seite - 82 - in Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration - US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
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1. Images , Stereotype und Vorurteile
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des Völkerbundes und der Nichtteilnahme der Vereinigten Staaten , weitgehend erfolglos
und so war der Weg in die bisher größte Barbarei der Menschheitsgeschichte zwar nicht
vorgezeichnet , aber eben doch möglich.
Dass sich Amerika als die Siegermacht des Zweiten Weltkriegs fünfundzwanzig Jahre
später ganz konkret zur geistig-kulturellen Umerziehung der Deutschen beziehungsweise
der Achsenmächte aufmachen sollte , war zu diesem Zeitpunkt wohl selbst für germano-
phobe Hardcore-Pessimisten keinesfalls absehbar.
NS-Feindbild Amerika : Antiamerikanismus als Kampf gegen
„Niggerkultur“, „Judenstaat“ und „westliche Demokratie“
„Ein Sieg über die militärischen Kräfte der USA wäre nur ein halber Sieg , wenn
dem Amerikanismus weiter Gelegenheit gegeben würde , das Mark der Völ-
ker auszuhöhlen. Der Amerikanismus kann aber nur überwunden werden , in-
dem die europäischen Völker endgültig die Lehren des Liberalismus vernichten
und aus eigenen völkischen Werten ihr kulturelles Leben neu aufbauen.“301
( SS-Propagandaschrift , 1943 )
Das spiegelbildliche Negativ zur positiven Selbstvergewisserung der kulturellen und wis-
senschaftlichen Leistungen des demokratischen Amerika , das auch nach 1945 in den Köp-
fen der Bevölkerung als anti-demokratisches Ideologem eingehämmert blieb , bildete wäh-
rend der Kriegsjahre die nationalsozialistische Antiamerika-Propaganda.
Der Nationalsozialismus konnte in seinem propagandistischen Antiamerikanismus nahtlos
an einschlägige Negativ-Stereotype anknüpfen , die bereits die kontinentale Publizistik der
vorangegangenen Jahrzehnte geliefert hatte302
– mit zwei gravierenden Unterschieden : zum
einen wurde der Antiamerikanismus in Deutschland nun zum Bestandteil rassenpolitischer
Propaganda , die sich letztlich mit dem ideologischen Vernichtungsfeldzug gegen Liberalis-
mus und Demokratie vereinigte ; zum anderen trat mit der NS-Herrschaft eine kulturelle De-
Amerikanisierung im alltäglichen Leben ein. Überall , wo
– wie im Fall moderner Rationali-
sierung
– fordistisch-tayloristisch organisierte Produktionstechniken303 nach amerikanischem
301 Amerikanismus eine Weltgefahr. Reichsführer SS – SS-Hauptamt , Berlin-Grunewald , 1944 , 23.
302 Vgl. Inge Marszolek , Das Amerikabild im Dritten Reich. In : Daniela Münkel / Jutta Schwarzkopf ( Hrsg. ),
Geschichte als Experiment. Studien zu Politik , Kultur und Alltag im 19. und 20. Jahrhundert. Festschrift
für Adelheid von Saldern , Frankfurt – New York 2004 , 25–34.
303 Tatsächlich existierten bis in die Kriegsjahre hinein Geschäftsbeziehungen zu US-amerikanischen Groß-
unternehmen wie Standard Oil , General Motors oder Ford. Im Fall Fords ging die Kooperation sogar weit
über wirtschaftlich-technische Geschäftsbeziehungen hinaus. Henry Ford I. I., der 1921 die Zeitung The
Dearborn Independent gekauft hatte , begann in dieser selbst unter krauser Bezugnahme auf die fingierten
„Protokolle der Weisen von Zion“ unter dem Titel „The International Jew“ eine Hetzkampagne gegen die
Inhaltsverzeichnis
- Vorbemerkung 11
- Einleitung 15
- 1. Images , Stereotype und Vorurteile – Herkunft und Veränderung der kulturellen Geringschätzung der USA in Europa seit dem 18. Jahrhundert 31
- 2. „ Education for Victory“ – US-Demokratisierungs-Konzepte und die zivilen Reeducation-Planungen für ein post-totalitäres Europa , 1941–1945 97
- „Education in Wartime“ – Nationalsozialismus als Fundamentalbedrohung der US-amerikanischen Zivilgesellschaft 99
- „Our Country’s Call to Service“ – konkrete Auswirkungen des Verteidigungs- und Abwehr-Diskurses 107
- Binnenamerikanische Reeducation : Stärkung nationaler Moral , Militarisierung des Bildungswesens und Bildungsreform 108
- Educational Reconstruction – Überlegungen und Konzepte 1942–1943 / 44 zur Demokratisierung nach Kriegsende 138
- „What to do with the mentally ill Germans ?“ Ursprünge , Entwicklung und Veränderungen der zivilen Reeducation-Konzepte , 1940–1944 157
- Exkurs : die österreichische Emigration in den USA – ein kultur- und bildungspolitisch folgenloses Kapitel für die Nachkriegsplanungen 175
- Spätphase der zivilgesellschaftlichen Überlegungen und Konzepte zur Reeducation und Reorientation 1943 / 44–1945 – langfristige Reorientierung als Paradigma 201
- Missing Link : Fehlende Umsetzung der Reorientierungs-Konzepte in die militärischen Planungen , 1943–1945 210
- „Takeover“ durch die U.S. Army : Wirrwarr und Kompetenzgerangel – Ausdünnung der Reorientation auf ‚unpolitische‘ Säuberungsmaßnahmen 210
- Randnotiz zu einem fehlgeschlagenen Experiment der US-Armee – POW-Camps zur Reeducation 228
- Zur Rolle Österreichs in der Reeducation-Planung der US-Militärstäbe 1943 / 44–1945 239
- Österreich – ein unklarer Planungsfaktor alliierter Politik bis 1944 / 45 239
- Militärisch-gremiale Detailplanung für Österreich – Administrationsunterlagen ohne Reorientation als Ergebnis 248
- 3. Beginn der US-Reorientierung nach 1945 – die Education Division als zentrale US-Militärbehörde 265
- 4. „ The democratic way of life in Austria“ – erste Umsetzungsphase bis zum Nationalsozialistengesetz 1947 : Zwischen Laissez Faire , strenger Observation und milder Beurteilung 277
- Kooperation statt Intervention und die Folgen für die Entnazifizierung im Bildungsbereich : das Fallbeispiel Universität 277
- Ausgangslage : Perspektive nötiger ‚Säuberungsmaßnahmen‘ 277
- Bestimmungen zur Entnazifizierung in US-Planungsdirektiven 288
- Die Ausgangssituation an den Universitäten im Frühjahr 1945 292
- Personalsäuberungen durch „Sonderkommissionen“ und deren Senate 318
- Entnazifizierung am Beispiel der Universität Wien 346
- Rückkehr unerwünscht ? – Maßnahmen zur Rückholung österreichischer WissenschafterInnen aus der Emigration 365
- Fallbeispiel : Ernst Karl Winter ( 1895–1959 ) 373
- Fallbeispiel : Hans Kelsen ( 1881–1973 ) 393
- Fallbeispiel : Felix Ehrenhaft ( 1879–1952 ) 404
- Wissenschaftspolitische Restauration und amerikanisch- österreichische Beziehungen. Ein Zwischenresümee 410
- Rahmenrichtlinien und Entnazifizierung der Studentenschaft an Österreichs Universitäten 427
- ÖH-Wahlen November 1946 : erste Großdemonstration gegen „nazistische Umtriebe“ in der Zweiten Republik und die Folgen 448
- Auswirkungen der Hochschulkrawalle : Turbulenzen im Alliierten Rat , Re-Screening der Studierenden und Lehrkräfte 477
- Turnaround in der Entnazifizierungspolitik – Kontroverse zwischen State Department und War Department 502
- 5. US-Reorientierungs-Planungen im Frühen Kalten Krieg : Zwischen Popularisierung des „American Way of Life“ und Psychologischer Kriegsführung , 1947–1950 517
- Longe Range Policy 1946 / 47 – Paradigmenwechsel : langfristige zivile Reorientierungs-Konzepte anstelle militärischer Kontrolle 517
- Elitenbildung über „Austauschprogramme“: zentrales Element der besatzungspolitisch auf gewer teten US-Reorientierung ab 1947 / 48 548
- Die ideologische Überformung der US-Reorientierung durch Propagandakampagnen des Kalten Krieges 562
- Cultural Exchange – Rahmenbedingungen der US-Kulturoffensive 562
- Reorientierung und psychologische Kriegsführung : „War of ideas“ – „Campaign of Truth“ – „Struggle for Minds“ 573
- 6. Endphase der Besatzung : Akademische Austauschprogramme und ihre Umsetzung in Österreich , 1950–1955 595
- Beginn der „U.S. Exchange“-Programme – Seltsamkeiten und Pannen 595
- Kurzer Exkurs : das Salzburg-Seminar – akademische Freiheit mit Hindernissen 609
- Umstrukturierung und Expansion : neuer Anlauf unter Supervision des U.S. Department of State 616
- Übernahme durch das State Department – Instrumentalisierung des „Exchange-Program“ als Teil der psychologischen Kriegsführung gegen die Sowjetunion 625
- ‚Phasing out‘ – zivile Verwaltung und Beginn der Normalisierung 638
- Schlussbemerkung 655
- Quellenverzeichnis 665
- Literaturverzeichnis 673
- Verzeichnis der Abkürzungen 735
- Personenverzeichnis 741