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Schlussbemerkung
Wie sich anhand einer Vielzahl konkreter Beispiele zeigen ließ , war der „Reorien tierung“,
also der grundlegenden Demokratisierung des geistig-kulturellen Lebens , wie dies nach
Kriegsende von der amerikanischen Besatzungsmacht beziehungsweise der US-Außen-
politik
– neben Deutschland , Italien und Japan
– auch für Österreich vorgesehen war , in
Bezug auf die akademisch-universitäre Erneuerung letztlich nur wenig Erfolg beschieden.
Ein Hindernis , dass es in diesem Prozess des geistigen Neubeginns zu überwinden
galt – geradezu eine tiefsitzende Mental-Blockade –, war zweifellos das tradierte Nega-
tiv-Bild von den USA beziehungsweise der amerikanischen Lebensart. Die historische
Rekonstruktion der frühen wechselseitigen Wahrnehmungen zeigt die frühe Ausprägung
gegenseitiger politisch-kultureller Stereotype , deren Grundlage wenig schmeichelhafte
beziehungsweise wenig realistische Ressentiments bildeten. Diese Vorurteile führten spä-
testens in der 1920er-Jahren zur Verfestigung eines „Anti-Amerikanismus“, der insbeson-
dere in der geistig-kulturellen und politische Elite Europas weit verbreitet war. Zentrale
Bestimmungs merkmale dieses europäischen Stereotyps – gegenüber der amerikanischen
Gegen-Wahrnehmung eines zutiefst antidemokratischen sowie völkisch-aggres
siven Nati-
onalismus und Militarismus der Deutschen
– bildeten die nach haltigen ( hoch )kulturellen
Überlegenheitsgefühle gegenüber der ‚flachen‘ , ‚materialis tisch-konsumistischen‘ ameri-
kanischen Massen kultur , aber auch Überfremdungsängste ange sichts einer wirtschaftlich
und ökonomisch rasch aufstrebenden trans
atlan tischen Groß
macht. Diese Stereotype und
Ressentiments wurden mit der Machtübernahme durch die National sozialisten verfestigt ,
aggressiv aufgeladen und als öffentliches Zerrbild einer barbarischen , von Juden und Frei-
maurern dominierten großindustriellen Verfallskultur der ‚gesunden‘ deutsch-völkischen
‚Lebensart‘ und rassistischen NS-Gesell schafts politik gegen über gestellt.
Der durch die nationalsozialistische Bedrohung ausgelöste Schock einer neuerli-
chen , in diesem Ausmaß noch nie dagewesenen Aggression und Brutalität des rassen-
theoretisch verbrämten deutschen Militarismus führte zu einer breiten nationalen Selbst-
ver gewisserung der eigenen geistig-weltanschaulichen und auch demo kratie politischen
Grundlagen. In diesem ersten globalen ‚Waffengang‘ , der auch als „Bildungskrieg“ ge-
führt wurde , kam es im Zuge der parallel geführten Aus einandersetzung mit den Wur-
zeln und Grundlagen totalitärer Herrschaft – neben konkreten binnen ameri kanischen
Bildungsreformen im Zuge der „Education for Victory“
– zu einer intensiven kultur- und
bildungspolitischen Debatte über die nach Kriegsende als notwendig erachtete „Reedu-
cation“ beziehungs weise „Reorien tation“, die eine „Zivilisierung“ und „Demokrati sierung“
der indoktrinierten Bevölkerungen der Achsen mächte zum Ziel hatten.
Anders als nach dem Ersten Weltkrieg sollte diesmal nicht nur der Krieg , sondern auch
der Frieden gewonnen werden , und zwar durch konkrete Planungen bereits vor Kriegsende
Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
- Untertitel
- US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
- Autor
- Christian H. Stifter
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 762
- Schlagwörter
- US-Reorientierung, Amerika, USA, Besatzungszeit, Demokratisierung, Amerikanisierung, Entnazifizierung, Kalter Krieg, Österreich, Universität, Wissenschaft, Wien
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorbemerkung 11
- Einleitung 15
- 1. Images , Stereotype und Vorurteile – Herkunft und Veränderung der kulturellen Geringschätzung der USA in Europa seit dem 18. Jahrhundert 31
- 2. „ Education for Victory“ – US-Demokratisierungs-Konzepte und die zivilen Reeducation-Planungen für ein post-totalitäres Europa , 1941–1945 97
- „Education in Wartime“ – Nationalsozialismus als Fundamentalbedrohung der US-amerikanischen Zivilgesellschaft 99
- „Our Country’s Call to Service“ – konkrete Auswirkungen des Verteidigungs- und Abwehr-Diskurses 107
- Binnenamerikanische Reeducation : Stärkung nationaler Moral , Militarisierung des Bildungswesens und Bildungsreform 108
- Educational Reconstruction – Überlegungen und Konzepte 1942–1943 / 44 zur Demokratisierung nach Kriegsende 138
- „What to do with the mentally ill Germans ?“ Ursprünge , Entwicklung und Veränderungen der zivilen Reeducation-Konzepte , 1940–1944 157
- Exkurs : die österreichische Emigration in den USA – ein kultur- und bildungspolitisch folgenloses Kapitel für die Nachkriegsplanungen 175
- Spätphase der zivilgesellschaftlichen Überlegungen und Konzepte zur Reeducation und Reorientation 1943 / 44–1945 – langfristige Reorientierung als Paradigma 201
- Missing Link : Fehlende Umsetzung der Reorientierungs-Konzepte in die militärischen Planungen , 1943–1945 210
- „Takeover“ durch die U.S. Army : Wirrwarr und Kompetenzgerangel – Ausdünnung der Reorientation auf ‚unpolitische‘ Säuberungsmaßnahmen 210
- Randnotiz zu einem fehlgeschlagenen Experiment der US-Armee – POW-Camps zur Reeducation 228
- Zur Rolle Österreichs in der Reeducation-Planung der US-Militärstäbe 1943 / 44–1945 239
- Österreich – ein unklarer Planungsfaktor alliierter Politik bis 1944 / 45 239
- Militärisch-gremiale Detailplanung für Österreich – Administrationsunterlagen ohne Reorientation als Ergebnis 248
- 3. Beginn der US-Reorientierung nach 1945 – die Education Division als zentrale US-Militärbehörde 265
- 4. „ The democratic way of life in Austria“ – erste Umsetzungsphase bis zum Nationalsozialistengesetz 1947 : Zwischen Laissez Faire , strenger Observation und milder Beurteilung 277
- Kooperation statt Intervention und die Folgen für die Entnazifizierung im Bildungsbereich : das Fallbeispiel Universität 277
- Ausgangslage : Perspektive nötiger ‚Säuberungsmaßnahmen‘ 277
- Bestimmungen zur Entnazifizierung in US-Planungsdirektiven 288
- Die Ausgangssituation an den Universitäten im Frühjahr 1945 292
- Personalsäuberungen durch „Sonderkommissionen“ und deren Senate 318
- Entnazifizierung am Beispiel der Universität Wien 346
- Rückkehr unerwünscht ? – Maßnahmen zur Rückholung österreichischer WissenschafterInnen aus der Emigration 365
- Fallbeispiel : Ernst Karl Winter ( 1895–1959 ) 373
- Fallbeispiel : Hans Kelsen ( 1881–1973 ) 393
- Fallbeispiel : Felix Ehrenhaft ( 1879–1952 ) 404
- Wissenschaftspolitische Restauration und amerikanisch- österreichische Beziehungen. Ein Zwischenresümee 410
- Rahmenrichtlinien und Entnazifizierung der Studentenschaft an Österreichs Universitäten 427
- ÖH-Wahlen November 1946 : erste Großdemonstration gegen „nazistische Umtriebe“ in der Zweiten Republik und die Folgen 448
- Auswirkungen der Hochschulkrawalle : Turbulenzen im Alliierten Rat , Re-Screening der Studierenden und Lehrkräfte 477
- Turnaround in der Entnazifizierungspolitik – Kontroverse zwischen State Department und War Department 502
- 5. US-Reorientierungs-Planungen im Frühen Kalten Krieg : Zwischen Popularisierung des „American Way of Life“ und Psychologischer Kriegsführung , 1947–1950 517
- Longe Range Policy 1946 / 47 – Paradigmenwechsel : langfristige zivile Reorientierungs-Konzepte anstelle militärischer Kontrolle 517
- Elitenbildung über „Austauschprogramme“: zentrales Element der besatzungspolitisch auf gewer teten US-Reorientierung ab 1947 / 48 548
- Die ideologische Überformung der US-Reorientierung durch Propagandakampagnen des Kalten Krieges 562
- Cultural Exchange – Rahmenbedingungen der US-Kulturoffensive 562
- Reorientierung und psychologische Kriegsführung : „War of ideas“ – „Campaign of Truth“ – „Struggle for Minds“ 573
- 6. Endphase der Besatzung : Akademische Austauschprogramme und ihre Umsetzung in Österreich , 1950–1955 595
- Beginn der „U.S. Exchange“-Programme – Seltsamkeiten und Pannen 595
- Kurzer Exkurs : das Salzburg-Seminar – akademische Freiheit mit Hindernissen 609
- Umstrukturierung und Expansion : neuer Anlauf unter Supervision des U.S. Department of State 616
- Übernahme durch das State Department – Instrumentalisierung des „Exchange-Program“ als Teil der psychologischen Kriegsführung gegen die Sowjetunion 625
- ‚Phasing out‘ – zivile Verwaltung und Beginn der Normalisierung 638
- Schlussbemerkung 655
- Quellenverzeichnis 665
- Literaturverzeichnis 673
- Verzeichnis der Abkürzungen 735
- Personenverzeichnis 741