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Kooperation statt Intervention und die Folgen für die Entnazifizierung
Fallbeispiel : Hans Kelsen ( 1881–1973 )
Ein anders gelagertes Beispiel , bei dem allerdings USFA-Stellen in Österreich involviert
waren , bietet Hans Kelsens’ Ansuchen um eine Gastprofessur an der Universität Wien im
Jahr 1947
– ein biografisches Detail , das aber doch eine gewisse Signifikanz besitzt und das
hier zumindest kurz erwähnt werden soll ; auch dieses Projekt scheiterte , wenn auch aus
anderen Gründen als im Fall von Ernst Karl Winter.
Ende der Zwanzigerjahre , als Kelsen bereits ein international hochangesehener Rechts-
gelehrter war , hatte sich das Arbeitsklima und seine persönliche Lebenssituation an der
juridischen Fakultät der Universität Wien , an der er 1919 zum ordentlichen Professor für
Staats- und Verwaltungsrecht ernannt worden war , zunehmend schwieriger gestaltet.1673
Den intellektuell überaus wehrhaften Demokraten Kelsen , der sich zwar nie direkt po-
litisch betätigte , aber neben seiner wissenschaftlichen Karriere bereits früh auch als huma-
nistischer Aufklärer und Volksbildner Popularität erlangte , indem er sich um die Vermitt-
lung einer parteifreien , neutralen politischen Bildung und Staatsbürger kunde bemühte ,1674
haben die Ver änderung des innenpolitischen und geistigen Klimas in Österreich Ende der
1920er-Jahre sicherlich ebenso getroffen wie die gegen ihn persönlich beziehungsweise ge-
gen die von ihm begründete „Reine Rechtslehre“ gerichteten Anfeindungen.
1673 Zu Kelsens Biografie siehe v. a. die Studie von Rudolf Aladár Métall , Hans Kelsen. Leben und Werk ,
Wien 1969 ; zur Zeit läuft am Wiener Hans Kelsen-Institut ( in Kooperation mit der Hans-Kelsen-
Forschungsstelle-Erlangen ) ein groß angelegtes Kelsen-Editionsprojekt , innerhalb dessen – unter Ein-
beziehung einer möglichst breiten Quellenbasis – bis 2012 die Biografie Kelsens neu untersucht und
dargestellt werden soll. Gespräch mit Univ.-Prof. Dr. Thomas Olechowski am 3. April 2007.
1674 So war Hans Kelsen ab 1911 Vortragender an Wiener Volkshochschulen und bis 1925 / 26 Mitglied
des Ausschusses für „Volkstümliche Universitätskurse“ ( University Extension ) der Universität Wien.
Vgl. UAW , Dekanatsakten der Juridischen Fakultät , Lfnr. 32. Die Frau des späteren Bundespräsi-
denten Adolf Schärf besuchte Kelsens volkstümliche Vorträge während des Ersten Weltkriegs und
schrieb da rü ber : „Der Vortrag von Dr. Kelsen ist ausgezeichnet ; mit einfachster Art behandelt er ein
ziemlich schwieri ges Thema , macht es so interessant , dass man den Wunsch hat , die Stunde möchte
sich ver doppeln. Von einem Kurs freue ich mich auf den anderen“. Brief seiner Frau Hilde ( Hammer )
an Adolf Schärf vom 4. März 1916. Diese Aussage teilte Schärf in einem Gratulationsschreiben an
Kelsen anlässlich dessen 75. Geburtstages mit. Zit. nach : Métall , Hans Kelsen , a. a. O., 88 ; siehe wei-
ters : Tamara Ehs , Die Ent zauberung von Staat und Recht. Hans Kelsen als Vortragender in der Wie-
ner Volks bildung. In : Spurensuche. Zeitschrift für Geschichte der Erwachsenenbildung und Wissen schafts-
popularisierung , 17. Jg., 2006 , Heft 1–4 , 61 ff. ; weiters : Karin Renner , Hans Kelsen : Der Philanthrop ,
Dipl.-Arb., Univ. Wien 2001 ; zuletzt : Deborah Holmes , Die Schwarzwaldschule und Hans Kelsen.
In : Robert Walter / Werner Ogris / Thomas Olechowski ( Hrsg. ), Hans Kelsen : Leben – Werk – Wirk-
samkeit. Ergebnisse einer Inter natio nalen Tagung , veranstaltet von der Kommission für Rechtsge-
schichte Österreichs und dem Hans Kelsen-Institut (= Schriftenreihe des Hans Kelsen-Instituts , Bd.
32 ), Wien 2009 , 97–109.
Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
- Untertitel
- US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
- Autor
- Christian H. Stifter
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 762
- Schlagwörter
- US-Reorientierung, Amerika, USA, Besatzungszeit, Demokratisierung, Amerikanisierung, Entnazifizierung, Kalter Krieg, Österreich, Universität, Wissenschaft, Wien
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorbemerkung 11
- Einleitung 15
- 1. Images , Stereotype und Vorurteile – Herkunft und Veränderung der kulturellen Geringschätzung der USA in Europa seit dem 18. Jahrhundert 31
- 2. „ Education for Victory“ – US-Demokratisierungs-Konzepte und die zivilen Reeducation-Planungen für ein post-totalitäres Europa , 1941–1945 97
- „Education in Wartime“ – Nationalsozialismus als Fundamentalbedrohung der US-amerikanischen Zivilgesellschaft 99
- „Our Country’s Call to Service“ – konkrete Auswirkungen des Verteidigungs- und Abwehr-Diskurses 107
- Binnenamerikanische Reeducation : Stärkung nationaler Moral , Militarisierung des Bildungswesens und Bildungsreform 108
- Educational Reconstruction – Überlegungen und Konzepte 1942–1943 / 44 zur Demokratisierung nach Kriegsende 138
- „What to do with the mentally ill Germans ?“ Ursprünge , Entwicklung und Veränderungen der zivilen Reeducation-Konzepte , 1940–1944 157
- Exkurs : die österreichische Emigration in den USA – ein kultur- und bildungspolitisch folgenloses Kapitel für die Nachkriegsplanungen 175
- Spätphase der zivilgesellschaftlichen Überlegungen und Konzepte zur Reeducation und Reorientation 1943 / 44–1945 – langfristige Reorientierung als Paradigma 201
- Missing Link : Fehlende Umsetzung der Reorientierungs-Konzepte in die militärischen Planungen , 1943–1945 210
- „Takeover“ durch die U.S. Army : Wirrwarr und Kompetenzgerangel – Ausdünnung der Reorientation auf ‚unpolitische‘ Säuberungsmaßnahmen 210
- Randnotiz zu einem fehlgeschlagenen Experiment der US-Armee – POW-Camps zur Reeducation 228
- Zur Rolle Österreichs in der Reeducation-Planung der US-Militärstäbe 1943 / 44–1945 239
- Österreich – ein unklarer Planungsfaktor alliierter Politik bis 1944 / 45 239
- Militärisch-gremiale Detailplanung für Österreich – Administrationsunterlagen ohne Reorientation als Ergebnis 248
- 3. Beginn der US-Reorientierung nach 1945 – die Education Division als zentrale US-Militärbehörde 265
- 4. „ The democratic way of life in Austria“ – erste Umsetzungsphase bis zum Nationalsozialistengesetz 1947 : Zwischen Laissez Faire , strenger Observation und milder Beurteilung 277
- Kooperation statt Intervention und die Folgen für die Entnazifizierung im Bildungsbereich : das Fallbeispiel Universität 277
- Ausgangslage : Perspektive nötiger ‚Säuberungsmaßnahmen‘ 277
- Bestimmungen zur Entnazifizierung in US-Planungsdirektiven 288
- Die Ausgangssituation an den Universitäten im Frühjahr 1945 292
- Personalsäuberungen durch „Sonderkommissionen“ und deren Senate 318
- Entnazifizierung am Beispiel der Universität Wien 346
- Rückkehr unerwünscht ? – Maßnahmen zur Rückholung österreichischer WissenschafterInnen aus der Emigration 365
- Fallbeispiel : Ernst Karl Winter ( 1895–1959 ) 373
- Fallbeispiel : Hans Kelsen ( 1881–1973 ) 393
- Fallbeispiel : Felix Ehrenhaft ( 1879–1952 ) 404
- Wissenschaftspolitische Restauration und amerikanisch- österreichische Beziehungen. Ein Zwischenresümee 410
- Rahmenrichtlinien und Entnazifizierung der Studentenschaft an Österreichs Universitäten 427
- ÖH-Wahlen November 1946 : erste Großdemonstration gegen „nazistische Umtriebe“ in der Zweiten Republik und die Folgen 448
- Auswirkungen der Hochschulkrawalle : Turbulenzen im Alliierten Rat , Re-Screening der Studierenden und Lehrkräfte 477
- Turnaround in der Entnazifizierungspolitik – Kontroverse zwischen State Department und War Department 502
- 5. US-Reorientierungs-Planungen im Frühen Kalten Krieg : Zwischen Popularisierung des „American Way of Life“ und Psychologischer Kriegsführung , 1947–1950 517
- Longe Range Policy 1946 / 47 – Paradigmenwechsel : langfristige zivile Reorientierungs-Konzepte anstelle militärischer Kontrolle 517
- Elitenbildung über „Austauschprogramme“: zentrales Element der besatzungspolitisch auf gewer teten US-Reorientierung ab 1947 / 48 548
- Die ideologische Überformung der US-Reorientierung durch Propagandakampagnen des Kalten Krieges 562
- Cultural Exchange – Rahmenbedingungen der US-Kulturoffensive 562
- Reorientierung und psychologische Kriegsführung : „War of ideas“ – „Campaign of Truth“ – „Struggle for Minds“ 573
- 6. Endphase der Besatzung : Akademische Austauschprogramme und ihre Umsetzung in Österreich , 1950–1955 595
- Beginn der „U.S. Exchange“-Programme – Seltsamkeiten und Pannen 595
- Kurzer Exkurs : das Salzburg-Seminar – akademische Freiheit mit Hindernissen 609
- Umstrukturierung und Expansion : neuer Anlauf unter Supervision des U.S. Department of State 616
- Übernahme durch das State Department – Instrumentalisierung des „Exchange-Program“ als Teil der psychologischen Kriegsführung gegen die Sowjetunion 625
- ‚Phasing out‘ – zivile Verwaltung und Beginn der Normalisierung 638
- Schlussbemerkung 655
- Quellenverzeichnis 665
- Literaturverzeichnis 673
- Verzeichnis der Abkürzungen 735
- Personenverzeichnis 741