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Joseph Lanner – Leben und Werk
Form ist. Das Autograph des zweiten Quodlibets (siehe unten) beweist, dass die Quartettfassung vor der
Orchesterfassung geschrieben wurde. In der Partitur (S. 43 des Autographs) steht die Violoncellostimme
lediglich einen Takt, die Stimmen der 2. Violine und der Bratsche zwei Takte ausnotiert, dann kommt der
Hinweis „wie in Quarttet [sic!]“. Damit dürfte die Quartettfassung von Lanner selbst sein (im Gegensatz
zu vielen späteren Bearbeitungen anderer Werk, welche nicht selten von verlagseigenen Arrangeuren her-
gestellt wurden, siehe das Kapitel „Bearbeitungen“).
Gemeinsam ist den drei genannten Quodlibets – abgesehen vom relativ kurzen Entstehungszeitraum
von etwa einem dreiviertel Jahr – der Bezug auf Wien und das Beiwort „beliebt“, vom Verleger Haslinger
sicher nicht ohne Hintergedanken in den Titel gerĂĽckt (der Originaltitel Lanners ist nur fĂĽr das 2. der
genannten Quodlibets erhalten und lautet anders s. u.). Der Inhalt macht deutlich, was der Titel ver-
spricht: im 1. Quodlibet verwertet Lanner ein Lied aus Raimunds „Der Bauer als Millionär“ – das Zau-
bermärchen war bereits am 10. November 1826 im Leopoldstädter Theater uraufgeführt worden – sowie
eigene Werke, u. a. den „Kirchweih-Ländler“ op. 13, der wenige Monate vor dem Quodlibet (Dezember
1827) geschrieben worden war. Interessanter fĂĽr den Musikhistoriker ist das 2. Quodlibet, weil Lanners
autographe Partitur erhalten geblieben ist. Der Originaltitel (Kopftitel auf der ersten Partiturseite) lautet
„Grand Poutpouri [sic!] cop: v: J: Lanner. mit Paganinischen Motiven“, weiters findet sich das für Lanner
typische „Mitt [sic!] Gott“, allerdings im Gegensatz zu den meisten seiner Autographe ist dieses nicht
datiert. Hintergrund war die Konzertserie, welche Paganini 1828 in Wien gab (siehe auch das Kapitel
„Virtuosentum“, in welchem auf diese Konzerte näher eingegangen wird). Neben Zitaten aus den von
Paganini in Wien vorgestellten Konzerten (insbesondere das Finale „mit dem Glöckchen“, welches auch
Liszt zu einer Bearbeitung anregte) finden sich erneut Eigenzitate („Vermählungswalzer“ op. 15), Teile aus
Rossinis Ouvertüre zu „La Siege de Corinth“, Volkslieder („Es wollte ein Jäger wohl jagen“, „Es ritten drei
Reiter zum Tor hinaus“) und die Kaiserhymne.
Inhaltlich ist das Quodlibet dürftig: Die Solovioline spielt zunächst weite Strecken colla parte mit den
1.Â
Violinen, auf Seite 9 der Partitur tritt sie erstmals mit einer kurzen Kadenz alleine ein, nun wechseln so-
listische Abschnitte und tutti-Abschnitte, ohne dass die einzelnen Teile in irgendeiner Form Bezug aufein-
ander nehmen wĂĽrden. Im zweiten Teil taucht das langerwartete Paganinizitat auf, ehe das Finale anhebt:
Streicher tragen die „Kaiserhymne“ von Haydn vor, die unvermittelt in das Finale aus der bereits erwähn-
ten RossiniouvertĂĽre (ab T. 281, Eulenburg-Partitur 1126). ĂĽbergeht. Eine objektive Beurteilung des Wer-
kes wird den Gelegenheitscharakter nicht übersehen können. Es ist rasch entworfene Gebrauchsmusik,
die schnell auf den Markt gebracht werden musste. Kapellen und Arrangeure wetteiferten damals um die
Gunst des Publikums, wer als erster ein Arrangement beliebter Melodien präsentieren konnte, durfte sich
der Aufmerksamkeit der Zuhörer wie der Journalisten gewiss sein. Letztere standen der Quodlibetpro-
duktion distanziert-kritisch gegenüber, wie eine Rezension des „Ersten beliebten Wiener Quodlibets“ op.
16 im Allgemeinen Musikalischen Anzeiger beweist: „Will es uns fast gemahnen, als wäre das Zeitalter,
worin wir leben, selbst so eine Species von Quodlibet. Was Wunder also, wenn die Kinder dieses Namens,
zusammt den wahlverwandten Potpourri’s, Alla potrida’s, Cappriccio’s, Pasticcio’s und dergl. gleich einer
Epidemie grassieren.“193 Immerhin gibt er zu: „Der Verfasser [Lanner] gibt hier mehr, als er verspricht:
wasmaßen außer den Paganinischen Thematen, auch andere …“194 und dann folgt eine Aufzählung der
verwendeten Melodien („ … detto die alten Volkslieder: ‚Es wollte ein Jäger wohl jagen …“195).
Das dritte Quodlibet der genannten Serie unterscheidet sich von der ersten beiden darin, dass es stilis-
tisch einheitlich ist. Es bezieht sich auf Konzerte von steirischen Alpensängern, welche im Herbst 1828
in Wien gastierten (der Untertitel der Klavierfassung lautet folgerichtig „Alpensänger-Potpourri“). Zitate
von Alpengesängen bilden die Folie für Stimmungsgemälde, die von einer Gewitternacht bis hin „zur
Ruhe“ unterschiedliche Fassetten des alpenländischen Lebens vorstellen. Solche Stimmungsgemälde wa-
193 Allgemeiner Musikalischer Anzeiger, Wien, 4. 4. 1829.
194 Ebd.
195 Ebd.
Joseph Lanner
Chronologisch-thematisches Werkverzeichnis
- Titel
- Joseph Lanner
- Untertitel
- Chronologisch-thematisches Werkverzeichnis
- Autor
- Wolfgang Dörner
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2012
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78793-8
- Abmessungen
- 21.0 x 29.5 cm
- Seiten
- 752
- Schlagwörter
- Joseph, Lanner, list of works, waltz, Vienna, danse, Joseph, Lanner, Werkverzeichnis, Walzer, Wien, Tänze
- Kategorie
- Biographien
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 7
- Danksagung 9
- Verzeichnis der AbkĂĽrzungen 10
- Biographische Notizen 13
- Reisen 16
- Beginn – Werden – Sein 21
- Vorläufer – Mitläufer – Nachfolger 23
- Tanz 28
- Bälle – Tanzstätten – Aufführungsorte 32
- Solisten – Ensemble – Kapelle – Orchester 39
- Akademie – Assemblée – Conversation – Piquenique – Réunion 42
- Publikum 44
- Werke 46
- Instrumentation 69
- Formen 79
- Notenmaterialien 86
- Widmungsträger 95
- Titel 97
- Verlage 100
- Quellen – Bibliotheken – Sammlungen 101
- Funktionalität – Autonomie – Interpretation 102
- Virtuosentum 106
- Romantik – Biedermeier 108
- Strahlender Stern – leuchtender Stern 112
- Rezension – Rezeption 113
- FlĂĽchtige Lust 115
- Literatur 117
- I. Gedruckte und mit Opuszahlen versehene Werke
- II. Nicht mit Opuszahlen versehene Werke
- III. Sammelwerke und diverse Werke 717
- IV. Anhang