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Joseph Lanner - Chronologisch-thematisches Werkverzeichnis
Seite - 111 -
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111 Romantik – Biedermeier Bei seinem letzten Gang trifft der Wanderer auf den Leiermann. Das routinierte Drehen der Leier ent- spricht der Walzerdrehung wie dem Wanderschritt: durch nichts abzulenken, weder von einem prächtig dekorierten Ballsaal noch durch eine karge Winterlandschaft. „Soll ich mit dir gehn? Willst zu meinen Liedern deine Leier drehn?“ fragt der einsame Reisende auf seinem letzten Gang. Lieder ohne Worte sind es, die der Leiermann seinem kümmerlichen Kasten entlockt. Flüchtig und unstet sind romantische Begegnungen: für einen einzigen Tanz finden Menschen zueinander, die nach dem letzten Akkord wortlos von einander scheiden. Eine scheue Berührung da, ein ängstlicher Blick dort: Beziehungen werden eingegangen, halten oft nicht einmal die Karnevalssaison, ehe das Mäd- chen, der junge Mann erneut sich wieder auf die Suche nach dem Glück, diesmal dem richtigen begibt. Fremdheit, Einsamkeit prägt den romantischen Menschen. In der Gesellschaft findet er sich nicht zu- recht, fühlt sich unverstanden, ausgestoßen. Im größten Trubel bleibt er alleine. Tanzende Paare können sich verlieren inmitten der rauschenden Ballgesellschaft, drehen selbstvergessen im Liebesglück für sich ihre Runden. Aber auch die einzelne Tänzerin, der einzelne Tänzer können einsam und verloren sich füh- len: das junge Mädchen im Arm eines älteren Tanzpartners, einem trostlosen Schicksal an der Seite eines verständnislosen und gefühlskalten Ehemanns ausgeliefert, der ältere Kavalier, der bei der Damenwahl regelmäßig übersehen wird, der resigniert sein Alter, seine schwindende Attraktivität auf das schönere Geschlecht verspüren muss. Die Natur als poetische Gegenwelt wurde mit zum stärksten Ausdrucksmittel der Romantik. Novalis blaue Blume, Schuberts Lindenbaum wurden zu Synonymen für Sehnsüchte, für Orte des gewonnenen und wieder verlorenen Glücks. Unter Bäumen saßen Lanners Zuhörer, im Paradiesgarten, in Haimbach, auf dem Brigittakirtag. Schuberts Gesellen verhießen die Zweige trügerische Ruhe, Lanners Publikum tröstete sich mit irdischen, aber nicht minder im Wind „verflogenen“ und verfremdeten Klängen. Der Kreislauf der Natur wirkte auf den Ballkalender: mit Blumenfesten wurde die Sommersaison eröff- net, mit „Floras Abschied“ Lebewohl gesagt den Soiréen in lauer Abendstimmung, den Kirtagen, den Wirtshausgärten voll blühender und duftender Blüten. Blumendekorationen finden sich im Winter in den Tanzsälen, Kunstblumen täuschen dort noch „Natur“ vor, wo die Eisblumen an den Fensterscheiben die reale Natur erahnen lassen. Schuberts Wanderer ergibt sich der feindlichen Natur, wird am Ende mit ihr verschmelzen, mit ihr eins werden. Lanners Ballbesucherin schaudert und flieht sie: im dünnen Ballkleidchen, das die Kälte einen bis in die Knochen spüren lässt, eilt sie (eine Kutsche kann sie sich nicht leisten) zur Redoute, der eisige Wind faucht bis ins Vestibül hinein und hebt den Rocksaum (zur Freude der männlichen Besucher). Dem Winter trotzt sie auf ihre Weise: nach einer ausladenden Walzertour, erhitzt, mit rotglühenden Wangen, lutscht sie an ihrem „Gefrorenen“, dreht dem Winter die lange Nase, nicht ahnend, dass der Tod heute Nacht noch sie holen wird aus ihrer ungeheizten Dachkammer. Natur ist grausam, ist unromantisch: Die Zeitungen sind voll von Ankündigungen von Wohltätigkeits- bällen zugunsten von Opfern von Überschwemmungen, von Eisstoß, von Hagelunwettern. Man spendet für den guten Zweck und dreht sich – wohlig schaudernd – munter weiter auf dem glatten Parkett. Die Romantik entdeckte die Nacht: nächtliches Dunkel begleitet Don Giovanni bei seinem Überfall auf Donna Anna, hilft ihm bei seinem Kleidertausch mit Leporello. Die Nacht wird Vertraute von Tris- tan und Isolde (Höhepunkt und Schwanengesang aller romantischen Liebespaare). Tristan schaudert es vor dem Anbruch des Tages, Brangänes warnende Worte möchte er nicht hören, Markes jähes Eindrin- gen nicht sehen. Der überwiegende Teil der Lannerschen Veranstaltungen fand in der Nacht statt. Ball- säle öffneten um Acht oder noch später ihre Pforten, Soiréen im Sommer wurden unterm funkelnden Sternenhimmel abgehalten. Winterliche Nachmittagsunterhaltungen sahen die Dämmerung durch die Fensterscheiben anbrechen, genüsslich schlürfte man Kaffee oder Punsch. Lanners Walzer beschwören Nachtstimmungen, seien es die „Abendsterne“, denen der Rezensent der Theaterzeitung in einer „halb-
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Joseph Lanner Chronologisch-thematisches Werkverzeichnis
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Titel
Joseph Lanner
Untertitel
Chronologisch-thematisches Werkverzeichnis
Autor
Wolfgang Dörner
Verlag
Böhlau Verlag
Ort
Wien
Datum
2012
Sprache
deutsch
Lizenz
CC BY-NC-ND 3.0
ISBN
978-3-205-78793-8
Abmessungen
21.0 x 29.5 cm
Seiten
752
Schlagwörter
Joseph, Lanner, list of works, waltz, Vienna, danse, Joseph, Lanner, Werkverzeichnis, Walzer, Wien, Tänze
Kategorie
Biographien

Inhaltsverzeichnis

  1. Vorwort 7
  2. Danksagung 9
  3. Verzeichnis der AbkĂĽrzungen 10
  4. Biographische Notizen 13
  5. Reisen 16
  6. Beginn – Werden – Sein 21
  7. Vorläufer – Mitläufer – Nachfolger 23
  8. Tanz 28
  9. Bälle – Tanzstätten – Aufführungsorte 32
  10. Solisten – Ensemble – Kapelle – Orchester 39
  11. Akademie – Assemblée – Conversation – Piquenique – Réunion 42
  12. Publikum 44
  13. Werke 46
  14. Instrumentation 69
  15. Formen 79
  16. Notenmaterialien 86
  17. Widmungsträger 95
  18. Titel 97
  19. Verlage 100
  20. Quellen – Bibliotheken – Sammlungen 101
  21. Funktionalität – Autonomie – Interpretation 102
  22. Virtuosentum 106
  23. Romantik – Biedermeier 108
  24. Strahlender Stern – leuchtender Stern 112
  25. Rezension – Rezeption 113
  26. FlĂĽchtige Lust 115
  27. Literatur 117
  28. I. Gedruckte und mit Opuszahlen versehene Werke
    1. Vorwort 119
    2. Verlage 123
    3. AbkĂĽrzungen 123
    4. Bisherige Verzeichnisse 125
    5. Werkverzeichnis
    6. Opus 1 – 208 127
  29. II. Nicht mit Opuszahlen versehene Werke
    1. Werkverzeichnis Anhang 1 – 90 e 605
  30. III. Sammelwerke und diverse Werke 717
  31. IV. Anhang
    1. Verzeichnis der Werke Joseph Lanners in alphabetischer Reihenfolge 721
    2. Widmungsträger 737
    3. August Lanner. Chronologisch-Thematisches Werkverzeichnis 739
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