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2014) und eben ein von diesem Konzept ausgehendes Wörterbuch, das mittler-
weile in zweiter Auflage erschienen ist (Ammon/Bickel/Lenz 2016). Das Modell
der plurizentrischen und plurinationalen Sprachen verfügt über eine ausdiffe-
renzierte Theorie und Terminologie.
Ulrich Ammon hat in seinem Standardwerk „Die deutsche Sprache in Öster-
reich, Deutschland und der Schweiz. Das Problem der nationalen Varietäten“
(Ammon 1995) das Konzept für den deutschsprachigen Raum ausgearbeitet. Er
schlägt folgende Terminologie vor: Eine Sprache, die über mindestens zwei Stan-
dardvarietäten in verschiedenen Zentren verfügt (wie z. B. das Englische, Franzö-
sische, Spanische, Arabische und eben Deutsche), wird „plurizentrische Sprache“
genannt. Unter einer „plurinationalen“ Sprache sei eine plurizentrische Sprache
zu verstehen, zu deren Zentren mindestens zwei Nationen zählen. Ammon (1998,
314 f) hält die Unterscheidung zwischen staatlichem und nationalem Zentrum
für zweckmäßig, da Staat und Nation nicht in jedem Fall kongruent sein müssen
(Schottland und Wales seien nations, würden aber keine eigenen states bilden)8.
Dabei wird von Vollzentren gesprochen, wenn die standardsprachlichen Beson-
derheiten in eigenen Nachschlagwerken festgehalten und autorisiert sind (wie
z. B. in Deutschland = D, Österreich = A, der Schweiz = CH). Beim Fehlen eines
richtigen Zentrums der Standardisierung spricht Ammon von „nationalen Halb-
zentren“, z. B. im Fall des Deutschen in Liechtenstein (LIE), Luxemburg (LUX),
Ostbelgien (BELG) und Südtirol (STIR). Ammon/Bickel/Lenz 2016 führen noch die
oben erwähnten Viertelzentren an. Clyne 2005 trifft eine andere Differenzierung:
Er spricht von „full centres of a pluricentric language (e. g. Britain, Germany)“,
die eigene endonormative Standards haben, und „semi- centres (e. g. Australia,
Austria)“, die zum Teil exonormativen, zum Teil endonormativen Standards fol-
gen, sowie von „rudimentary centres (e. g. Liechtenstein)“, die all ihre Normen
von außen übernehmen (Clyne 2005, 298). Auch Kellermeier- Rehbein (2014, 29)
schlägt
– neben den Halbzentren
– Viertelzentren vor, die über eine eigene Stan-
dardvarietät verfügen würden, aber keinen amtlichen Status hätten. Als Beispiele
werden von Kellermeier- Rehbein Namibia und die Regionen mit deutschsprachiger
Bevölkerung in Rumänien (Siebenbürgen) angeführt.
Mit „nationaler Variable“ bezeichnet Ammon „eine Menge einander ent-
sprechender einzelner Sprachformen, die in verschiedenen Nationen gelten“, also
die unterschiedlichen gleichbedeutenden „Varianten“ für ein und dieselbe Sache.
Beispiel: Ein „Tacker“ in Deutschland ist eine „Klammermaschine“ in Österreich
und ein „Bostitch“ in der Schweiz (Ammon 2005, 30). Oder ein „Eissalon“ in
Österreich ist ein „Eiscafé“ oder eine „Eisdiele“ in Deutschland, in der Schweiz
fehlen derartige Lokale überhaupt. Um ein Beispiel von Michael Clyne für das
Englische anzuführen: „pavement“ im britischen Englisch entspricht „sidewalk“
8 Dementsprechend könnte man staatsspezifische und nationale Varietäten/Varianten unter-
scheiden (Ammon 1998, 315). Konzeptualisierungen der Variation im Standarddeutschen
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Österreichisches Deutsch macht Schule
Bildung und Deutschunterricht im Spannungsfeld von sprachlicher Variation und Norm
Veröffentlicht mit Unterstützung des Austrian Science Fund (FWF)
- Titel
- Österreichisches Deutsch macht Schule
- Untertitel
- Bildung und Deutschunterricht im Spannungsfeld von sprachlicher Variation und Norm
- Autoren
- Rudolf de Cillia
- Jutta Ransmayr
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20888-4
- Abmessungen
- 15.5 x 23.0 cm
- Seiten
- 266
- Schlagwörter
- Austriacism, teaching German, dialect, Austria, Austrian German, Austriazismus, Deutschunterricht, Dialekt, Lehrbücher, Lehrpläne, Österreich, Österreichisches Deutsch, Plurizentrik, Pluriarealität, Spracheinstellungen, Sprachnormen, Standardsprache
- Kategorie
- Lehrbücher
Inhaltsverzeichnis
- 1 Einleitung 10
- 2 Theoretische Einordnung des Forschungsgegenstandes Innere Mehrsprachigkeit – sprachliche Variation – Sprach/en/unterricht 14
- 2.1 (Innersprachliche) Mehrsprachigkeit und sprachliche Variation 14
- 2.2 Status und Rolle/Funktion der deutschen Sprache in den deutschsprachigen Ländern/Regionen 16
- 2.3 Sprachliche Variation und deutsche Sprache 21
- 2.4 Konzeptualisierungen der Variation im Standarddeutschen 24
- 2.5 Sprachliche Variation der deutschen Sprache in Österreich 46
- 2.6 Sprachnorm und Sprachenunterricht 52
- 2.7 Forschungslage zum österreichischen Deutsch als Unterrichts- sprache und ExpertInnenbefragung 57
- 2.7.1 Forschungslücken/Forschungsfragen 59
- 3 Forschungsfragen und Untersuchungsdesign 61
- 4 Analyse von unterrichtsrelevanten Dokumenten (Lehrpläne, Studienpläne, Lehrbücher) 68
- 5 Empirische Erhebung bei LehrerInnen und SchülerInnenan österreichischen Schulen Beschreibung der Daten 89
- 6 Ergebnisse der empirischen Erhebung an Schulen 120
- 6.1 Konzeptualisierung der Variation des Deutschen in Österreich 120
- 6.2 Spracheinstellungen gegenüber den Varietäten des Deutschen 144
- 6.2.1 Korrektheit des österreichischen Deutsch 144
- 6.2.2 Einstellungen gegenüber dem österreichischen, deutschen und Schweizer Standarddeutsch: Polaritätsprofile 152
- 6.2.3 Sprache – Identität 154
- 6.2.4 Zusammenfassung der Ergebnisse zu den Einstellungen gegenüber den Varietäten des Deutschen unter LehrerInnen und SchülerInnen 161
- 6.3 Korrekturverhalten 163
- 6.5 Dialekt – Umgangssprache – Standard? Angaben zum Varietätengebrauch innerhalb und außerhalb der Schule 198
- 6.6 Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse der empirischen Erhebung an den Schulen 215
- 7 Schlussbetrachtung und Ausblick 221
- Anhang 232
- Literatur 237
- Verzeichnis der Tabellen und Abbildungen 252
- Sachregister 256