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Das Deutsche sei eine „pluriareale Sprache“. Plurizentrisch suggeriere, es gebe
national und staatlich einheitliche Varietäten des Deutschen in relativ strikter
Abgrenzung voneinander. Wichtig sei aber vor allem „die Arealität, also die Räum-
lichkeit des Deutschen“, die sich in den verschiedenartigsten Mustern äußere,
von denen die Staatlichkeit nur eines sei, die in den Bereich einer „Randgröße“
verwiesen wird. Andere „Räumlichkeiten“ seien wesentlich häufiger wie die, die
einen „altbayerisch- österreichischen Raum“ oder solche, die einen „gesamtsüd-
deutschen Raum“ ergeben. Und „geradezu überwältigend dominant“ sei eben
die „Ein- Räumlichkeit“ (a. a. O., 152), die die Grundlage einer funktionierenden
Hochsprache sei. Staatsgrenzenüberschreitende Gemeinsamkeiten einerseits bzw.
innerstaatliche Differenzierungen andererseits werden hiermit also als wichti-
ger eingeschätzt als staatsbezogene sprachliche Gemeinsamkeiten im Sinn des
plurizentrischen Konzepts.14 In seinem Beitrag betont Scheuringer weiter, dass
er grundsätzlich antinational und antinationalistisch eingestellt sei. Er glaube
„an den Primat natürlicher Räume“, darunter auch „Sprachräume“, die er als
natürlicher empfinde als Staaten oder Nationen. So gesehen seien Deutschland,
Österreich oder die Schweiz „willkürliche Gebilde“ (a. a. O., 151). Die Debatte
rund ums österreichische Deutsch sieht er als „Stellvertreterdebatte“. 1945 sei in
Österreich „die Lüge als Prinzip der Geschichtsbetrachtung“ etabliert worden. Die
dafür notwendige Abkehr von den eigenen anderthalb Jahrtausenden deutscher
Geschichte habe auch die Sprache erfasst (a. a. O., 148). Man habe in mehr als fünf-
zig Jahren offizieller Geschichtsverfälschung das Kind mit dem Bad ausgeschüttet,
„nämlich Österreichs Geschichte in und mit Deutschland im Jahrtausend davor,
damit auch Österreichs demographische und sprachliche Geschichte“.15 Darauf,
dass Scheuringer noch 1985 in einer Publikation von staatsbezogener Variation
des Deutschen ausging, sei hier nur kurz hingewiesen: „Being a nation with a
long tradition of statehood, Austria has developed a specific variety of German in
the same way as English shows different varieties in different parts of the world.“
Und etwas weiter unten: „On the whole, the concept of an Austrian variety of
14 Eine Diskussion dieser Frage findet sich übrigens schon bei Ammon 1995, 505 ff.: „Region und
Nation als varietätsprägende Kräfte“.
15 Nach Brückmüller existieren zwei Abstammungsmythen zu den ÖsterreicherInnen: Einerseits
existiert die Vorstellung, die heutigen ÖsterreicherInnen seien vor allem deutscher Abstam-
mung. Das Gegenteil davon sei der multikulturelle Mythos (Bruckmüller 1994, 142). Dass
es wenig Sinn macht, derartige genealogische Spekulationen anzustellen, begründet er mit
der Tatsache, dass sich die Vorfahren eines Individuums in jeder Generation quadratisch
vermehren. Die definitive Herausbildung eines eigenen österreichischen Nationalbewusst-
seins wird von manchen AutorInnen schon in der Zeit der nationalsozialistischen Herrschaft
angesetzt (etwa von Kreissler 1984 und Bruckmüller 1996, 348 – 353, vgl. auch Wodak et al 1998,
111 – 117). Dieses eigene österreichische Nationalbewusstsein hat sich ab den 1960er- Jahren
zu einer „österreichischen nationalen Identität“ verdichtet. 47 % sahen bei einer Befragung
im Jahr 1964 Österreich als Nation, 66 % im Jahr 1970 und 80 % im Jahr 1993 (Bruckmüller
1994, 15).
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| Theoretische Einordnung des
Forschungsgegenstandes34
Österreichisches Deutsch macht Schule
Bildung und Deutschunterricht im Spannungsfeld von sprachlicher Variation und Norm
Veröffentlicht mit Unterstützung des Austrian Science Fund (FWF)
- Titel
- Österreichisches Deutsch macht Schule
- Untertitel
- Bildung und Deutschunterricht im Spannungsfeld von sprachlicher Variation und Norm
- Autoren
- Rudolf de Cillia
- Jutta Ransmayr
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20888-4
- Abmessungen
- 15.5 x 23.0 cm
- Seiten
- 266
- Schlagwörter
- Austriacism, teaching German, dialect, Austria, Austrian German, Austriazismus, Deutschunterricht, Dialekt, Lehrbücher, Lehrpläne, Österreich, Österreichisches Deutsch, Plurizentrik, Pluriarealität, Spracheinstellungen, Sprachnormen, Standardsprache
- Kategorie
- Lehrbücher
Inhaltsverzeichnis
- 1 Einleitung 10
- 2 Theoretische Einordnung des Forschungsgegenstandes Innere Mehrsprachigkeit – sprachliche Variation – Sprach/en/unterricht 14
- 2.1 (Innersprachliche) Mehrsprachigkeit und sprachliche Variation 14
- 2.2 Status und Rolle/Funktion der deutschen Sprache in den deutschsprachigen Ländern/Regionen 16
- 2.3 Sprachliche Variation und deutsche Sprache 21
- 2.4 Konzeptualisierungen der Variation im Standarddeutschen 24
- 2.5 Sprachliche Variation der deutschen Sprache in Österreich 46
- 2.6 Sprachnorm und Sprachenunterricht 52
- 2.7 Forschungslage zum österreichischen Deutsch als Unterrichts- sprache und ExpertInnenbefragung 57
- 2.7.1 Forschungslücken/Forschungsfragen 59
- 3 Forschungsfragen und Untersuchungsdesign 61
- 4 Analyse von unterrichtsrelevanten Dokumenten (Lehrpläne, Studienpläne, Lehrbücher) 68
- 5 Empirische Erhebung bei LehrerInnen und SchülerInnenan österreichischen Schulen Beschreibung der Daten 89
- 6 Ergebnisse der empirischen Erhebung an Schulen 120
- 6.1 Konzeptualisierung der Variation des Deutschen in Österreich 120
- 6.2 Spracheinstellungen gegenüber den Varietäten des Deutschen 144
- 6.2.1 Korrektheit des österreichischen Deutsch 144
- 6.2.2 Einstellungen gegenüber dem österreichischen, deutschen und Schweizer Standarddeutsch: Polaritätsprofile 152
- 6.2.3 Sprache – Identität 154
- 6.2.4 Zusammenfassung der Ergebnisse zu den Einstellungen gegenüber den Varietäten des Deutschen unter LehrerInnen und SchülerInnen 161
- 6.3 Korrekturverhalten 163
- 6.5 Dialekt – Umgangssprache – Standard? Angaben zum Varietätengebrauch innerhalb und außerhalb der Schule 198
- 6.6 Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse der empirischen Erhebung an den Schulen 215
- 7 Schlussbetrachtung und Ausblick 221
- Anhang 232
- Literatur 237
- Verzeichnis der Tabellen und Abbildungen 252
- Sachregister 256