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Nur so viel sei berichtet: Die Autoren sind der Ansicht, das „österreichische
Deutsch“ sei eine „Erfindung, die nur im historischen wie gesellschaftlichen Kon-
text des Nachkriegsösterreich erklärt werden“ könne (65). Das österreichische
Deutsch sei ein (sprach-)politisches Konstrukt, um „die Etablierung und Akzep-
tanz der ‚österreichischen Nation‘ auf der sprachlichen Ebene zu legitimieren
bzw. zu erhöhen“ (a. a. O.). Es sei auch falsch, von einem „österreichischen Volk“
zu sprechen. Und Jörg Haiders Ausspruch, wonach „die österreichische Nation
eine Mißgeburt gewesen ist, eine ideologische Mißgeburt“, wird als eine „viel-
leicht überspitzte[n], aber an sich nachvollziehbare[n] Aussage“ zitiert (a. a. O.,
86). Es sei bedauerlich, „dass sich die Deutschen seit Auschwitz nicht mehr
zusammengehörig fühlen dürfen und neue, vollkommen haltlose Nationalismen
Platz griffen, die eben auch auf die Linguistik Auswirkungen hatten“ (a. a. O.).
Das lässt
– wie auch andere Passagen im Text
– u. E. keine andere Interpretation
als die der Annahme einer großdeutschen Sprachnation zu.
2.4.3 Plurizentrisch – Pluriareal?
Auffällig ist bei allen pluriarealen Ansätzen, dass dieser Zugang im Vergleich
zum plurizentrischen Ansatz theoretisch derzeit noch weniger elaboriert ist (wie
etwa die Offenlegung grundlegender axiomatischer Annahmen und Hypothesen
über den Zusammenhang von sprachlichen und außersprachlichen Variablen,
Ausarbeitung eines klar definierten terminologischen Instrumentariums wie bei
Ammon 1995, methodische Zugangsweisen).
Relativ scharf kritisiert das Dollinger (2016), der feststellt, dass viele Forsche-
rInnen der „German dialectology“ von einer „One Standard German Hypothesis“
als zugrundeliegender Annahme ausgehen: „‚Pluri- areal‘ says nothing more than
that the German language is subject to regional variation, which extends across
national boundaries“. Und: „Proponents of ‚pluriareality‘ are proponents of a
monocentric approach to Standard German“ (Dollinger in Druck, 40). Er ortet
einen theorielosen empirischen Zugang („based on naive, a- theoretical positi-
vism“, 48). Aber: „The idea of description without theory is impossible“ (Dollinger
in Druck, 39). Letztlich liege dem Ansatz „the One German Axiom or the One
Standard German Axiom“ zugrunde (26).
Vor allem von den GegnerInnen des plurizentrischen Konzepts wurde die
Diskussion um die beiden Konzepte zum Teil sehr emotional und polemisch
geführt (s. u.). So ist da z. B., wie schon erwähnt, von der „‚Ideologie‘ von der
des den Text prägenden aggressiven Tonfalls wird der Gegenposition unterstellt, larmoyant zu
sein etc. Erstaunlich ist, dass ein derartiger Beitrag in einer
– zugegeben in der Fachwelt kaum
bekannten und wohl auch nicht peer reviewten
– Zeitschrift „Beiträge zur Fremdsprachenver-
mittlung“ aufgenommen wurde.
Open Access © 2019 by BÖHLAU VERLAG GMBH & CO. KG, WIEN KÖLN WEIMAR
| Theoretische Einordnung des
Forschungsgegenstandes40
Österreichisches Deutsch macht Schule
Bildung und Deutschunterricht im Spannungsfeld von sprachlicher Variation und Norm
Veröffentlicht mit Unterstützung des Austrian Science Fund (FWF)
- Titel
- Österreichisches Deutsch macht Schule
- Untertitel
- Bildung und Deutschunterricht im Spannungsfeld von sprachlicher Variation und Norm
- Autoren
- Rudolf de Cillia
- Jutta Ransmayr
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20888-4
- Abmessungen
- 15.5 x 23.0 cm
- Seiten
- 266
- Schlagwörter
- Austriacism, teaching German, dialect, Austria, Austrian German, Austriazismus, Deutschunterricht, Dialekt, Lehrbücher, Lehrpläne, Österreich, Österreichisches Deutsch, Plurizentrik, Pluriarealität, Spracheinstellungen, Sprachnormen, Standardsprache
- Kategorie
- Lehrbücher
Inhaltsverzeichnis
- 1 Einleitung 10
- 2 Theoretische Einordnung des Forschungsgegenstandes Innere Mehrsprachigkeit – sprachliche Variation – Sprach/en/unterricht 14
- 2.1 (Innersprachliche) Mehrsprachigkeit und sprachliche Variation 14
- 2.2 Status und Rolle/Funktion der deutschen Sprache in den deutschsprachigen Ländern/Regionen 16
- 2.3 Sprachliche Variation und deutsche Sprache 21
- 2.4 Konzeptualisierungen der Variation im Standarddeutschen 24
- 2.5 Sprachliche Variation der deutschen Sprache in Österreich 46
- 2.6 Sprachnorm und Sprachenunterricht 52
- 2.7 Forschungslage zum österreichischen Deutsch als Unterrichts- sprache und ExpertInnenbefragung 57
- 2.7.1 Forschungslücken/Forschungsfragen 59
- 3 Forschungsfragen und Untersuchungsdesign 61
- 4 Analyse von unterrichtsrelevanten Dokumenten (Lehrpläne, Studienpläne, Lehrbücher) 68
- 5 Empirische Erhebung bei LehrerInnen und SchülerInnenan österreichischen Schulen Beschreibung der Daten 89
- 6 Ergebnisse der empirischen Erhebung an Schulen 120
- 6.1 Konzeptualisierung der Variation des Deutschen in Österreich 120
- 6.2 Spracheinstellungen gegenüber den Varietäten des Deutschen 144
- 6.2.1 Korrektheit des österreichischen Deutsch 144
- 6.2.2 Einstellungen gegenüber dem österreichischen, deutschen und Schweizer Standarddeutsch: Polaritätsprofile 152
- 6.2.3 Sprache – Identität 154
- 6.2.4 Zusammenfassung der Ergebnisse zu den Einstellungen gegenüber den Varietäten des Deutschen unter LehrerInnen und SchülerInnen 161
- 6.3 Korrekturverhalten 163
- 6.5 Dialekt – Umgangssprache – Standard? Angaben zum Varietätengebrauch innerhalb und außerhalb der Schule 198
- 6.6 Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse der empirischen Erhebung an den Schulen 215
- 7 Schlussbetrachtung und Ausblick 221
- Anhang 232
- Literatur 237
- Verzeichnis der Tabellen und Abbildungen 252
- Sachregister 256