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statistisch hochsignifikanter Unterschied zwischen ÖsterreicherInnen einerseits
und Bayern und Nord-/Mitteldeutschen andererseits feststellbar war: Nur Erstere
beurteilen dieses Lexem als standardsprachlich. So könne man laut Pfrehm bei
solchen Wörtern wie „heuer“ von einem Schibboleth für die österreichische
Varietät des Deutschen sprechen. Pfrehm liefert klare empirische Indizien dafür,
dass es Wörter gibt, die zwar von MuttersprachlerInnen der deutschen Sprache
in verschiedenen Sprachgebieten in ähnlicher Weise verwendet, jedoch im Hin-
blick auf die Standardsprachlichkeit anders beurteilt werden, und unterstützt so
die plurizentrische Konzeptualisierung der deutschen Sprache. Auch Scheuringer
(2001) weist darauf hin, dass es Wörter gibt, die in Bayern und Österreich „in
unterschiedlicher Weise bewertet“ werden. „Während sie in Österreich problem-
los Teil der deutschen Standardsprache sind, gelten sie in Bayern in der Regel
als Nonstandard, nur selten sind sie ‚teilstandardfähig‘ wie (seltener) Kren oder
(häufiger) Topfen ‚Quark‘“ (109, Herv. im Original).
Zu ähnlichen Ergebnissen kommt Mohn (2017), der in seiner Dissertation
eine Untersuchung der Aussprache von Nachrichtensprechern und Nachrich-
tensprecherinnen des Bayrischen Rundfunks und des ORF durchgeführt hat.
Dabei stellte sich zunächst schon heraus, dass BR-SprecherInnen sehr oft nicht
aus Bayern kommen und eine außerbayerische Sprechausbildung haben, also
eine areallinguistisch heterogene Gruppe darstellen
– ein Hinweis auf die staats-
bezogene Organisation des Mediums. Norddeutsche NachrichtensprecherInnen
wären in Österreich nicht vorstellbar. Mohn hat daher „zugereiste“ Nachrich-
tensprecherInnen nicht berücksichtigt. Trotzdem zeige sich neben einigen
Gemeinsamkeiten, dass die Aussprache der ORF-SprecherInnen deutlich von
BR-SprecherInnen abweiche, die Aussprache von ORF-SprecherInnen relativ
einheitlich sei und dass es eine deutlich erkennbare „österreichische Sprech-
konvention“ gebe. In Bayern sei die Aussprache, obwohl sie auch hier bei eini-
gen Variablen von der „bundesdeutschen Standardlautung“ abweiche, näher an
dieser „bundesdeutschen Standardlautung“ als im ORF. Das bedeutet, dass bei
BR-SprecherInnen eine deutlich stärkere Orientierung am Aussprache- Duden
vorliegt (Mohn, in Druck).
Auch die Ergebnisse der Spracheinstellungsforschung von Ender/Kaiser
(2009) liefern Indizien dafür, dass staatliche Grenzen eine Rolle für Sprach-
verwendung und Spracheinstellungen spielen. Sie vergleichen den Stellenwert
von Dialekt und Standard im österreichischen und Schweizer Alltag, wobei
in Österreich das durch das Dialekt- Standard- Kontinuum geprägte bairische
Sprachgebiet und das – ähnlich wie in der Schweiz – durch eine diglossale
Situa
tion gekennzeichnete alemannischsprachige Vorarlberg getrennt betrachtet
werden und Letzteres wiederum mit der Situation in der Schweiz verglichen wird.
Für den vorliegenden Kontext sind die konstatierten Unterschiede zwischen
Vorarlberger und Schweizer SprecherInnen von Interesse: Erstere betrachten
ihren Dialekt als weiter vom Standard entfernt als die Schweizer SprecherInnen
Open Access © 2019 by BÖHLAU VERLAG GMBH & CO. KG, WIEN KÖLN WEIMAR
| Theoretische Einordnung des
Forschungsgegenstandes44
Österreichisches Deutsch macht Schule
Bildung und Deutschunterricht im Spannungsfeld von sprachlicher Variation und Norm
Veröffentlicht mit Unterstützung des Austrian Science Fund (FWF)
- Titel
- Österreichisches Deutsch macht Schule
- Untertitel
- Bildung und Deutschunterricht im Spannungsfeld von sprachlicher Variation und Norm
- Autoren
- Rudolf de Cillia
- Jutta Ransmayr
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20888-4
- Abmessungen
- 15.5 x 23.0 cm
- Seiten
- 266
- Schlagwörter
- Austriacism, teaching German, dialect, Austria, Austrian German, Austriazismus, Deutschunterricht, Dialekt, Lehrbücher, Lehrpläne, Österreich, Österreichisches Deutsch, Plurizentrik, Pluriarealität, Spracheinstellungen, Sprachnormen, Standardsprache
- Kategorie
- Lehrbücher
Inhaltsverzeichnis
- 1 Einleitung 10
- 2 Theoretische Einordnung des Forschungsgegenstandes Innere Mehrsprachigkeit – sprachliche Variation – Sprach/en/unterricht 14
- 2.1 (Innersprachliche) Mehrsprachigkeit und sprachliche Variation 14
- 2.2 Status und Rolle/Funktion der deutschen Sprache in den deutschsprachigen Ländern/Regionen 16
- 2.3 Sprachliche Variation und deutsche Sprache 21
- 2.4 Konzeptualisierungen der Variation im Standarddeutschen 24
- 2.5 Sprachliche Variation der deutschen Sprache in Österreich 46
- 2.6 Sprachnorm und Sprachenunterricht 52
- 2.7 Forschungslage zum österreichischen Deutsch als Unterrichts- sprache und ExpertInnenbefragung 57
- 2.7.1 Forschungslücken/Forschungsfragen 59
- 3 Forschungsfragen und Untersuchungsdesign 61
- 4 Analyse von unterrichtsrelevanten Dokumenten (Lehrpläne, Studienpläne, Lehrbücher) 68
- 5 Empirische Erhebung bei LehrerInnen und SchülerInnenan österreichischen Schulen Beschreibung der Daten 89
- 6 Ergebnisse der empirischen Erhebung an Schulen 120
- 6.1 Konzeptualisierung der Variation des Deutschen in Österreich 120
- 6.2 Spracheinstellungen gegenüber den Varietäten des Deutschen 144
- 6.2.1 Korrektheit des österreichischen Deutsch 144
- 6.2.2 Einstellungen gegenüber dem österreichischen, deutschen und Schweizer Standarddeutsch: Polaritätsprofile 152
- 6.2.3 Sprache – Identität 154
- 6.2.4 Zusammenfassung der Ergebnisse zu den Einstellungen gegenüber den Varietäten des Deutschen unter LehrerInnen und SchülerInnen 161
- 6.3 Korrekturverhalten 163
- 6.5 Dialekt – Umgangssprache – Standard? Angaben zum Varietätengebrauch innerhalb und außerhalb der Schule 198
- 6.6 Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse der empirischen Erhebung an den Schulen 215
- 7 Schlussbetrachtung und Ausblick 221
- Anhang 232
- Literatur 237
- Verzeichnis der Tabellen und Abbildungen 252
- Sachregister 256