Seite - 176 - in Österreichisches Deutsch macht Schule - Bildung und Deutschunterricht im Spannungsfeld von sprachlicher Variation und Norm
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Der Moderator stellte mit Verweis auf die Autorin Christine Nöstlinger, die
das Perfekt als Erzählzeit verwendet, folgende Zwischenfrage: „Ist des mündlich/
schriftlich/ ist des schriftlich akzeptabel? Is des falsch, oder? Wie sehen Sie des?
Die Verwendung – des Perfekts statt des Präteritums als Erzählzeit?“ Daraufhin
entstand eine sehr lebhafte Diskussion. Die Gruppe war sich zunächst einig, dass
das Präteritum in der Sekundarstufe II als Norm eingefordert werden müsse, dass
in der Volksschule das Perfekt akzeptiert werden solle und dass die SchülerInnen
in der Volksschule und Sekundarstufe I an das Präteritum herangeführt werden
müssten. In weiterer Folge wurde dann aber die Normsetzung grundsätzlich
hinterfragt, was letztlich zu einer prinzipiellen Infragestellung der Norm und zu
einem Plädoyer für ein flexibles Normkonzept führte.
Eine der Deutschlehrerinnen brachte das Problem schon zu Beginn auf den Punkt:
Wir sehen ja des alles immer wieder … aus dem Blickwinkel der Deutschlehrerinnen.
A:h,
– u:nd, a:h, f:ür bestimmte Textsorten gibts eben diverse Normen, die auch vielleicht
nicht unabänderlich sind, ja? A::h, und deshalb wird dann in einem ERLEBNISaufsatz
unterwellt oder unterstrichen oder angemerkt, das ist falsch, wenn ein Kind im Perfekt
erzählt. Aber ich würds NICHT so als absolit/ absolut und unabänderlich sehen (F8, 598).
Sind bei einer Orientierung am tatsächlichen Sprachgebrauch also textsortenspezi-
fische Normen gefragt und welche Bereiche sind für das österreichische Standard-
deutsch im Klassenzimmer- Alltag abzustecken? Auf die Frage des Moderators, ob
sie das Perfekt anstreichen würde, antwortete eine Volksschullehrerin (F2, 607):
„Niemals.“ ((schüttelt heftig den Kopf)) F4, eine AHS/HS-Lehrerin, pflichtete ihr
bei (607): „Nein. Ich würds akzeptieren.“ Aber in der Sekundarstufe II sei die
Sachlage anders, gab eine Kollegin zu bedenken (F1, 614):
„In der Sek zwei, da ist es definitiv NICHT möglich, eine Erzählung, also schriftlich
narrativ im Perfekt zu sein. Aso, des is narrativ völlig klor, ahm, der derzeitige Stand.
Aso keine Frage, dass das nicht unabänderlich ist, aber von den Normen ist es, ä:h,
is es/ ähm, würd i sogn/ i was net, ob ihr mir zustimmts, oder?“ Eine AHS-Lehrerin
stimmt zu: „Bin i ganz bei dir.“ (F7, 619)
Eine Lehrerin warf ein, dass sie es vor allem dann anstreichen würde, wenn
zwischen Perfekt und Präteritum gewechselt wird. Sonst würde sie das Perfekt
akzeptieren, erklärte die Lehrerin, die für situative, textsortenabhängige und
flexible Normen plädierte (F8, 736):
Ich glaube schon, dass die Normen ja durchaus einen Sinn haben […] In manchen
Verwendungszusammenhängen wird das Perfekt wahrscheinlich gut passen, und do
sollt es auch erlaubt sein, denk ich mir, und do sollt man vielleicht manchmal über-
legen, ob man, ob man überall diese Regeleinhaltung so streng b/ ah, sehen muss.
[…]
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| Ergebnisse der empirischen Erhebung an
Schulen176
Österreichisches Deutsch macht Schule
Bildung und Deutschunterricht im Spannungsfeld von sprachlicher Variation und Norm
Veröffentlicht mit Unterstützung des Austrian Science Fund (FWF)
- Titel
- Österreichisches Deutsch macht Schule
- Untertitel
- Bildung und Deutschunterricht im Spannungsfeld von sprachlicher Variation und Norm
- Autoren
- Rudolf de Cillia
- Jutta Ransmayr
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20888-4
- Abmessungen
- 15.5 x 23.0 cm
- Seiten
- 266
- Schlagwörter
- Austriacism, teaching German, dialect, Austria, Austrian German, Austriazismus, Deutschunterricht, Dialekt, Lehrbücher, Lehrpläne, Österreich, Österreichisches Deutsch, Plurizentrik, Pluriarealität, Spracheinstellungen, Sprachnormen, Standardsprache
- Kategorie
- Lehrbücher
Inhaltsverzeichnis
- 1 Einleitung 10
- 2 Theoretische Einordnung des Forschungsgegenstandes Innere Mehrsprachigkeit – sprachliche Variation – Sprach/en/unterricht 14
- 2.1 (Innersprachliche) Mehrsprachigkeit und sprachliche Variation 14
- 2.2 Status und Rolle/Funktion der deutschen Sprache in den deutschsprachigen Ländern/Regionen 16
- 2.3 Sprachliche Variation und deutsche Sprache 21
- 2.4 Konzeptualisierungen der Variation im Standarddeutschen 24
- 2.5 Sprachliche Variation der deutschen Sprache in Österreich 46
- 2.6 Sprachnorm und Sprachenunterricht 52
- 2.7 Forschungslage zum österreichischen Deutsch als Unterrichts- sprache und ExpertInnenbefragung 57
- 2.7.1 Forschungslücken/Forschungsfragen 59
- 3 Forschungsfragen und Untersuchungsdesign 61
- 4 Analyse von unterrichtsrelevanten Dokumenten (Lehrpläne, Studienpläne, Lehrbücher) 68
- 5 Empirische Erhebung bei LehrerInnen und SchülerInnenan österreichischen Schulen Beschreibung der Daten 89
- 6 Ergebnisse der empirischen Erhebung an Schulen 120
- 6.1 Konzeptualisierung der Variation des Deutschen in Österreich 120
- 6.2 Spracheinstellungen gegenüber den Varietäten des Deutschen 144
- 6.2.1 Korrektheit des österreichischen Deutsch 144
- 6.2.2 Einstellungen gegenüber dem österreichischen, deutschen und Schweizer Standarddeutsch: Polaritätsprofile 152
- 6.2.3 Sprache – Identität 154
- 6.2.4 Zusammenfassung der Ergebnisse zu den Einstellungen gegenüber den Varietäten des Deutschen unter LehrerInnen und SchülerInnen 161
- 6.3 Korrekturverhalten 163
- 6.5 Dialekt – Umgangssprache – Standard? Angaben zum Varietätengebrauch innerhalb und außerhalb der Schule 198
- 6.6 Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse der empirischen Erhebung an den Schulen 215
- 7 Schlussbetrachtung und Ausblick 221
- Anhang 232
- Literatur 237
- Verzeichnis der Tabellen und Abbildungen 252
- Sachregister 256