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auch immer. Ja, er sagt immer das kann/ kannst zu Deinen Freundinnen sagen,
aber nicht zu mir“ (de Cillia 2009, 158).
In den Gruppendiskussionen für die vorliegende Untersuchung erzählte eine
Schülerin die folgende Geschichte (F3):
Ich weiß nur, da war ich noch kleiner, da war ich mit meiner Mutter einmal beim Arzt
und ich hab dann auch irgendwann gsagt „Tschüss“. […] nein, mit meiner Oma war
ich, und die hat dann auch gsagt, du darfst jetzt aber nicht Tschüss zu dem Herren
sagen, da musst du schon „Auf Wiedersehen“ sagen, weil das is ja unhöflich.
Das letztgenannte Beispiel ist vor allem deshalb interessant, weil hier auf die Ver-
wendung von Tschüss in der distanzierten Anrede Bezug genommen wird, wie
sie in Deutschland durchaus üblich ist, in Österreich aber (noch) nicht.
Trotz des Widerstands der älteren Generation ist Tschüss mittlerweile zum
häufigsten Abschiedsgruß geworden. Die vorliegende Untersuchung unterstreicht
diesen Befund. In der dazugehörigen Gruppendiskussion der LehrerInnen ent-
wickelte sich in diesem Zusammenhang ein richtiges „Tschüsskonzert“, in dem
unterschiedliche Intonationen des Tschüss angesprochen wurden, und die Teil-
nehmer letztlich eine Austrifizierung des Tschüss diagnostiziert haben.
Mo: Okay. Hm\/ Des heißt Sie würden sagen, des:: Tschüss
F9: Habitus angeschaut. Und i glaub des mocht schon einen großen
01
Mo: hat sich verösterreichert mittlerweile, hm\/ Hm\/
F9: Unterschied, ob man/ Des weiß i net, wie die Deutschen
02
Mo: Hm\/ hm\/
F3: Tschüss.
F4: Tschüss. ((nickt
F9: sagen, aber des/ mein/ meine Nichte und die Mädels, die sogen
03
Mo: Hm\/ hm\/ Ja.
F2: Tschüssi,
F4: )) Ja, ein/ Tschüss. Oder Tschüssi:,
M1: Es gibt auch schon ein Tschüssi.
F9: aber Tschü::ss.
KoF9: ((singend))
04
Mo: Ja. Okay. Ja?
F2: oltersbedingt. Tschuldigung,
F4: ja.
F5: (Die Deutschen sagen/)
KoF5: ((zu M1 ))
M1: Tschüssi, gibts a schon. Tschüssi.
Eine Teilnehmerin (F5, Alter ca. 45 Jahre) berichtete über die eigene Verwen-
dung des Tschüss: „Ah, des Tschüss fällt mir jetzt nur bei mir persönlich auf,
ich sag auch Tschü::ss ((singend)). ((lacht)) Also, net Tschüss. Sondern des/
diese Wellenbewegung.“
Sprachverwendung: Präferenz von Deutschlandismen/Austriazismen
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Österreichisches Deutsch macht Schule
Bildung und Deutschunterricht im Spannungsfeld von sprachlicher Variation und Norm
Veröffentlicht mit Unterstützung des Austrian Science Fund (FWF)
- Titel
- Österreichisches Deutsch macht Schule
- Untertitel
- Bildung und Deutschunterricht im Spannungsfeld von sprachlicher Variation und Norm
- Autoren
- Rudolf de Cillia
- Jutta Ransmayr
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20888-4
- Abmessungen
- 15.5 x 23.0 cm
- Seiten
- 266
- Schlagwörter
- Austriacism, teaching German, dialect, Austria, Austrian German, Austriazismus, Deutschunterricht, Dialekt, Lehrbücher, Lehrpläne, Österreich, Österreichisches Deutsch, Plurizentrik, Pluriarealität, Spracheinstellungen, Sprachnormen, Standardsprache
- Kategorie
- Lehrbücher
Inhaltsverzeichnis
- 1 Einleitung 10
- 2 Theoretische Einordnung des Forschungsgegenstandes Innere Mehrsprachigkeit – sprachliche Variation – Sprach/en/unterricht 14
- 2.1 (Innersprachliche) Mehrsprachigkeit und sprachliche Variation 14
- 2.2 Status und Rolle/Funktion der deutschen Sprache in den deutschsprachigen Ländern/Regionen 16
- 2.3 Sprachliche Variation und deutsche Sprache 21
- 2.4 Konzeptualisierungen der Variation im Standarddeutschen 24
- 2.5 Sprachliche Variation der deutschen Sprache in Österreich 46
- 2.6 Sprachnorm und Sprachenunterricht 52
- 2.7 Forschungslage zum österreichischen Deutsch als Unterrichts- sprache und ExpertInnenbefragung 57
- 2.7.1 Forschungslücken/Forschungsfragen 59
- 3 Forschungsfragen und Untersuchungsdesign 61
- 4 Analyse von unterrichtsrelevanten Dokumenten (Lehrpläne, Studienpläne, Lehrbücher) 68
- 5 Empirische Erhebung bei LehrerInnen und SchülerInnenan österreichischen Schulen Beschreibung der Daten 89
- 6 Ergebnisse der empirischen Erhebung an Schulen 120
- 6.1 Konzeptualisierung der Variation des Deutschen in Österreich 120
- 6.2 Spracheinstellungen gegenüber den Varietäten des Deutschen 144
- 6.2.1 Korrektheit des österreichischen Deutsch 144
- 6.2.2 Einstellungen gegenüber dem österreichischen, deutschen und Schweizer Standarddeutsch: Polaritätsprofile 152
- 6.2.3 Sprache – Identität 154
- 6.2.4 Zusammenfassung der Ergebnisse zu den Einstellungen gegenüber den Varietäten des Deutschen unter LehrerInnen und SchülerInnen 161
- 6.3 Korrekturverhalten 163
- 6.5 Dialekt – Umgangssprache – Standard? Angaben zum Varietätengebrauch innerhalb und außerhalb der Schule 198
- 6.6 Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse der empirischen Erhebung an den Schulen 215
- 7 Schlussbetrachtung und Ausblick 221
- Anhang 232
- Literatur 237
- Verzeichnis der Tabellen und Abbildungen 252
- Sachregister 256