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immer dem beobachteten Sprachverhalten entspricht. In den meisten Bereichen
jedoch bestätigten die qualitativen Daten die Ergebnisse der quantitativen Erhe-
bung und der Dokumentenanalyse. Viele LehrerInnen haben in den Interviews
und Gruppendiskussionen berichtet, dass sie sich schwertun mit der Entscheidung,
welche Austriazismen als standardsprachlich gelten, welche als umgangssprach-
lich einzuordnen sind – und welche als dialektal zu bewerten sind. Der Spagat
zwischen dem eigenen Sprachempfinden und der diffusen, schwer greifbaren
Norm verunsichert offenbar viele DeutschlehrerInnen. Der Rückgriff auf Nach-
schlagwerke bietet den LehrerInnen allerdings keine allzu große Hilfe. Denn die
Kodifizierung des österreichischen Deutsch hat sich im Zuge unseres Projekts als
lückenhaft erwiesen, was Befunde aus der Literatur bestätigt, wonach der öster-
reichische Standard relativ wenig kodifiziert ist (z. B. Ender/Kaiser 2009, 268).
Dazu kommt, dass in der LehrerInnenschaft latente sprachliche Minderwer-
tigkeitsgefühle gegenüber dem deutschen Standarddeutsch vorhanden sind, die
unterschwellig zu widersprüchlichen Einstellungen führen: Einerseits ist es so, dass
die meisten LehrerInnen in unserem Sample das österreichische Deutsch positiv
bewerten und ihm große Bedeutung für die österreichische Identität beimessen.
Auf die Frage, ob es ein österreichisches Standarddeutsch gebe, antworten 80 %
der LehrerInnen und knapp 60 % der SchülerInnen mit ja. Ähnlich positiv sind
die Reaktionen, wenn direkt nach der Korrektheit des österreichischen Deutsch
gefragt wird: 86 % der LehrerInnen und 68 % der SchülerInnen halten das Stan-
darddeutsch, das in Österreich verwendet wird, für gleichermaßen korrekt wie
das Standarddeutsch, das in Deutschland verwendet wird. Wird jedoch differen-
zierter nachgefragt, dann bleibt dem österreichischen Deutsch die volle Anerken-
nung versagt. Nur 44 % der LehrerInnen und 32 % der SchülerInnen lehnen die
Behauptung ab, dass das deutsche Deutsch korrekter wäre als österreichisches
Deutsch. Demnach wird im Zweifelsfall das deutsche Standarddeutsch von vielen
PädagogInnen doch als „richtiger“ empfunden.
Diese Ambivalenz äußert sich unserer Untersuchung zufolge auch beim Kor-
rekturverhalten der LehrerInnen. Ein konstruierter Aufsatz, den die LehrerIn-
nen zu korrigieren hatten und der eine Reihe an ausgewiesenen Austriazismen
und Deutschlandismen enthielt, sollte Erkenntnisse über das Korrekturverhalten
und die Normakzeptanz der DeutschlehrerInnen liefern. Grundsätzlich hat sich
dabei gezeigt, dass österreichische LehrerInnen nicht so stark exonorm- orientiert
korrigieren, wie dies aus den bisherigen Pilotstudien zu vermuten gewesen wäre,
aber dass doch ein Teil der LehrerInnen dazu tendiert, Austriazismen als Fehler
zu bewerten.
Unsere Untersuchung hat auch ergeben, dass LehrerInnen verschiedener
Schulformen mit standardsprachlichen Varianten unterschiedlich umgehen: HS-/
NMS-LehrerInnen etwa strichen mit Abstand doppelt so häufig wie alle ande-
ren LehrerInnen Austriazismen als „falsch“ an. Große Unterschiede kamen auch
zwischen älteren und jüngeren LehrerInnen zum Vorschein: Je älter LehrerInnen
Zusammenfassung der Ergebnisse
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Österreichisches Deutsch macht Schule
Bildung und Deutschunterricht im Spannungsfeld von sprachlicher Variation und Norm
Veröffentlicht mit Unterstützung des Austrian Science Fund (FWF)
- Titel
- Österreichisches Deutsch macht Schule
- Untertitel
- Bildung und Deutschunterricht im Spannungsfeld von sprachlicher Variation und Norm
- Autoren
- Rudolf de Cillia
- Jutta Ransmayr
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20888-4
- Abmessungen
- 15.5 x 23.0 cm
- Seiten
- 266
- Schlagwörter
- Austriacism, teaching German, dialect, Austria, Austrian German, Austriazismus, Deutschunterricht, Dialekt, Lehrbücher, Lehrpläne, Österreich, Österreichisches Deutsch, Plurizentrik, Pluriarealität, Spracheinstellungen, Sprachnormen, Standardsprache
- Kategorie
- Lehrbücher
Inhaltsverzeichnis
- 1 Einleitung 10
- 2 Theoretische Einordnung des Forschungsgegenstandes Innere Mehrsprachigkeit – sprachliche Variation – Sprach/en/unterricht 14
- 2.1 (Innersprachliche) Mehrsprachigkeit und sprachliche Variation 14
- 2.2 Status und Rolle/Funktion der deutschen Sprache in den deutschsprachigen Ländern/Regionen 16
- 2.3 Sprachliche Variation und deutsche Sprache 21
- 2.4 Konzeptualisierungen der Variation im Standarddeutschen 24
- 2.5 Sprachliche Variation der deutschen Sprache in Österreich 46
- 2.6 Sprachnorm und Sprachenunterricht 52
- 2.7 Forschungslage zum österreichischen Deutsch als Unterrichts- sprache und ExpertInnenbefragung 57
- 2.7.1 Forschungslücken/Forschungsfragen 59
- 3 Forschungsfragen und Untersuchungsdesign 61
- 4 Analyse von unterrichtsrelevanten Dokumenten (Lehrpläne, Studienpläne, Lehrbücher) 68
- 5 Empirische Erhebung bei LehrerInnen und SchülerInnenan österreichischen Schulen Beschreibung der Daten 89
- 6 Ergebnisse der empirischen Erhebung an Schulen 120
- 6.1 Konzeptualisierung der Variation des Deutschen in Österreich 120
- 6.2 Spracheinstellungen gegenüber den Varietäten des Deutschen 144
- 6.2.1 Korrektheit des österreichischen Deutsch 144
- 6.2.2 Einstellungen gegenüber dem österreichischen, deutschen und Schweizer Standarddeutsch: Polaritätsprofile 152
- 6.2.3 Sprache – Identität 154
- 6.2.4 Zusammenfassung der Ergebnisse zu den Einstellungen gegenüber den Varietäten des Deutschen unter LehrerInnen und SchülerInnen 161
- 6.3 Korrekturverhalten 163
- 6.5 Dialekt – Umgangssprache – Standard? Angaben zum Varietätengebrauch innerhalb und außerhalb der Schule 198
- 6.6 Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse der empirischen Erhebung an den Schulen 215
- 7 Schlussbetrachtung und Ausblick 221
- Anhang 232
- Literatur 237
- Verzeichnis der Tabellen und Abbildungen 252
- Sachregister 256