Seite - 26 - in Berthold Viertel - Eine Biografie der Wiener Moderne
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›kurzen‹ 20. Jahrhunderts zwischen Demokratie und Diktatur« zu betrachten
und in diesem Sinne vielmehr von einem »langen 20. Jahrhundert« auszuge-
hen.31 Diese Perspektive kann als bestimmend fĂĽr Berthold Viertels Schreiben
angesehen werden, das den Vergleich mit den Wien-1900-Darstellungen seiner
Zeitgenossen und Freunde Hermann Broch und Stefan Zweig – zu dem er eine
deutliche Gegenposition bezog – nicht scheuen muss. Seine autobiografische
Position weist damit auch ĂĽber die bisher durch die Exilforschung geleistete
Befassung mit seiner Person hinaus und macht gerade aufgrund ihrer Viel-
schichtigkeit eine biografische Beschäftigung mit Berthold Viertel hochinteres-
sant.
Dabei ist auch ein kritischer Intellektueller wie Viertel stets in seine Zeit
»verstrickt« und selbst Teil des »sowohl – als auch«. Und genau das kann in
Biografien besonders gut sichtbar gemacht werden, wie auch Seipel-Biograf
John Deak betonte : »Biographies remind us all too well of what we would rather
forget or rewrite about the past. If the twentieth century teaches us anything in
the twenty-first, it will be about the ambiguities inherent in humanity.«32
Meine biografische Analyse Viertels entstand im Umfeld der österreichi-
schen Zeitgeschichte, der zuletzt der Historiker GĂĽnter Bischof ein anhaltendes
Desinteresse an der Biografie als Idealisierungsformat »großer Männer« wie
auch an ihren Methoden und Theorien unterstellte : »Biographical writing is not
a forte of the historical profession in Austria.«33 Implizit und rezent auch wieder
expliziter waren aber biografische Thematisierungen in den deutschsprachigen
Geschichtswissenschaften stets präsent. Es kann also – abseits von »phänome-
nalen Wiedergeburten«34, anhaltender Skepsis oder »Sonderwegen«35 – mit der
Zeithistorikerin Johanna Gehmacher ĂĽber die Biografie als historiografisches
Format festgehalten werden, dass erstens »das Verhältnis der Geschichtswissen-
schaften zur Biographie von WidersprĂĽchen und wechselnden Konjunkturen
gekennzeichnet« ist und zweitens aber »keine kontinuierliche methodisch-theo-
31 Dreidemy u.a. (Hg.), Bananen, Cola, Zeitgeschichte, 2015.
32 Deak, John, Ignaz Seipel (1876–1932) Founding Father of the Austrian Republic, in : Bischof, Gün-
ter u.a. (Hg.), Austrian Lives, Innsbruck 2012, 32–55, 32–33.
33 Bischof, Günter, Preface, in : Bischof u.a. (Hg.), Austrian Lives, 2012, IX–XVII, IX–X und XV.
34 LeGoff, Jaques, Wie schreibt man eine Biographie ?, in : Braudel, Fernand u.a. (Hg.), Der Historiker
als Menschenfresser. Über den Beruf des Geschichtsschreibers, Berlin 1990, 103–113, 103.
35 Raulff, Ulrich, Das LebenÂ
– buchstäblich. Über neuere Biographie und Geschichtswissenschaft, in :
Klein, Christian (Hg.), Grundlagen der Biographik. Theorie und Praxis des biographischen Schrei-
bens, Stuttgart 2002, 55–68, 55 ; Pyta, Wolfram, Geschichtswissenschaft, in : Klein, Christian (Hg.),
Handbuch Biographie. Methoden, Traditionen, Theorien, Stuttgart 2009, 331–338, 331.
Berthold Viertel
Eine Biografie der Wiener Moderne
- Titel
- Berthold Viertel
- Untertitel
- Eine Biografie der Wiener Moderne
- Autor
- Katharina Prager
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20832-7
- Abmessungen
- 15.5 x 23.2 cm
- Seiten
- 368
- Kategorie
- Biographien
Inhaltsverzeichnis
- Ein chronologischer Ăśberblick 7
- Einleitend 19
- 1. BERTHOLD VIERTELS RĂśCKKEHR IN DIE Ă–STERREICHISCHE MODERNE DURCH EXIL UND REMIGRATION
- 2. ERINNERUNGSORTE DER WIENER MODERNE
- Moderne in Wien 99
- Monarchisches GefĂĽhl 118
- Galizien 129
- JĂĽdisches Wien 139
- Katholische Dienstmädchen 150
- Deutsche Kultur 161
- Luegers Wien 173
- MitschĂĽler Hitler 184
- Jugendliche Kulturanarchisten 196
- Familie Adler 209
- Studium 228
- Sexuelle Emancipation 245
- Karl Kraus 268
- Theater 291
- Erster Weltkrieg 310
- Nachsatz 333
- Archivalien 336
- Dank 342
- Literaturverzeichnis 344
- Bildnachweis 358
- Personenregister 359