Seite - 89 - in Berthold Viertel - Eine Biografie der Wiener Moderne
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Innerhalb
Österreichs
–
Konfrontationen
mit
»österreichischen
Illusionen« | 89
Der Film war ein »Who is who« der österreichischen Schauspielprominenz.64
Unter denen, die sich da eingefunden hatten, um Lothars Österreichbilder leben-
dig zu machen, waren auch einige, deren Beteiligung am nationalsozialistischen
Kulturbetrieb noch kritischer hinterfragt werden hätte können. Viertel spottete
in diesem Zusammenhang, dass es Paula Wessely, die in dem NS-Hetzfilm
Heimkehr gespielt hatte, »gewiß nicht schaden wird, dass sie sich [in ihrer Rolle]
weltöffentlich dazu bekennt, eine Halbjüdin zu sein. Niemand wird sagen : ›A
Halbjüdin ? Die ? An Schmarrn.‹ Niemand wird ausrufen : ›Da legst di nieda.‹«65
Solche Vertuschungen empörten ihn ebenso sehr wie der Umstand, dass alle
gesellschaftlichen und politischen Kontexte, das »warum und wieso« in dieser
sinnstiftenden Darstellung der österreichischen Geschichte als »für das Pfund-
und Dollar-Ausland« unfasslich und langweilig ausgeklammert wurden : 66
Und so weiter, und so weiter, […] unter Schubertklängen bis ein »Mann aus dem
Nichts« kommt ! Das ist nämlich die Lotharsche Formel für den Hitler : der kam,
völlig unerklärlicher Weise, aus dem Nichts : während er doch genau aus all dem ver-
logenen Unwesen gekommen ist, das diesen Film von A bis Z erfüllt […].67
Lothar hatte in seinem Engel mit der Posaune genau jene Zeitperiode themati-
siert, die auch Viertel in seinem autobiografischen Projekt bearbeitete, doch
historische Ereignisse wurden als »Naturkatastrophen […] ins Unverbindliche«
gerückt und keine»Erkenntnismöglichkeiten« aus den Komplikationen der Zeit
gewonnen.68 Berthold Viertel erschien jedoch nur die analytische Konfrontation
mit den Problemen dieses Wien 1900 als probates Mittel gegen die »menschli-
chen und geistigen Verwüstungen, die der Faschismus hinterlassen hatte«,69
wenn er auch ahnte, dass das unvergleichlich anstrengender zu vermitteln sein
würde : »Aber die Geschichte ist kein Daunenbett, das man sich über den Kopf
ziehen kann, um weiterzuschlummern, besonders wenn man so böse aufgeweckt
wurde.70
64 Es spielten : Paula Wessely, Helene Thimig, Hedwig Bleibtreu, Alma Seidler, Maria Schell, Adrienne
Gessner, Erni Mangold, Attila und Paul Hörbiger, Hans Holt, Oskar Werner, Fred Liewehr, Curd
Jürgens, Anton Edthofer, sowie Karl Paryla und Peter Alexander (als ungenannter Statist).
65 BV an Alfred Polgar, 8. September 1948, 69.2087/1, K32, A : Viertel, DLA.
66 Ibid.
67 Ibid.
68 Roessler/Kaiser, Nachwort, in : Kaiser/Roessler (Hg.), Viertel, Überwindung, 1989, 391–411, 405
und Konstantin Kaiser, Berthold Viertel und Günther Anders, in : Theodor-Kramer-Gesellschaft
(Hg.), Traum von der Realität, 1998, 155–169, 161.
69 Roessler/Kaiser, Nachwort, in : Kaiser/Roessler (Hg.), Viertel, Überwindung, 1989, 391–411, 407.
70 BV, Stadt der Kindheit, in : Bolbecher/Kaiser (Hg.), Viertel, Cherub, 1990, 87.
Berthold Viertel
Eine Biografie der Wiener Moderne
- Titel
- Berthold Viertel
- Untertitel
- Eine Biografie der Wiener Moderne
- Autor
- Katharina Prager
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20832-7
- Abmessungen
- 15.5 x 23.2 cm
- Seiten
- 368
- Kategorie
- Biographien
Inhaltsverzeichnis
- Ein chronologischer Überblick 7
- Einleitend 19
- 1. BERTHOLD VIERTELS RÜCKKEHR IN DIE ÖSTERREICHISCHE MODERNE DURCH EXIL UND REMIGRATION
- 2. ERINNERUNGSORTE DER WIENER MODERNE
- Moderne in Wien 99
- Monarchisches Gefühl 118
- Galizien 129
- Jüdisches Wien 139
- Katholische Dienstmädchen 150
- Deutsche Kultur 161
- Luegers Wien 173
- Mitschüler Hitler 184
- Jugendliche Kulturanarchisten 196
- Familie Adler 209
- Studium 228
- Sexuelle Emancipation 245
- Karl Kraus 268
- Theater 291
- Erster Weltkrieg 310
- Nachsatz 333
- Archivalien 336
- Dank 342
- Literaturverzeichnis 344
- Bildnachweis 358
- Personenregister 359