Seite - 147 - in Berthold Viertel - Eine Biografie der Wiener Moderne
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Er hatte einen etwas fuchsartigen Habitus und hinkte. Böse Zungen behaup-
teten, dass er sich den Leibesschaden selbst zugefĂĽgt habe, um sich dem Mili-
tärdienst zu entziehen […]. Er war von subalternem Charakter, verglichen mit
dem jĂĽngeren Salomon, dem er einen einigermaĂźen hĂĽndischen Respekt erwies.
[…] Das Verhältnis zwischen den Brüdern ist immer ein schlechtes gewesen.35
Die erste Spur, die Leopold in den Matriken der Wiener Kultusgemeinde
hinterlassen hat, ist der Eintrag der Geburt seines Sohnes Rudolf am 10. Feb-
ruar 1875 in der Brunnengasse 18 in Neulerchenfeld.36 Leopold hatte bereits elf
Jahre zuvor, am 21. Februar 1864 in Krakau die aus Orovice in Ungarn stam-
mende Flora/Fromet Hanizer geheiratet – nachdem sie die gemeinsamen Kin-
der aufgezogen hatten, trennten sich die beiden offiziell. Noch in Polen oder
Ungarn waren die beiden Töchter des Paares, Fanni (16.08.1867) und Auguste
(29.01.1869) zur Welt gekommen. Zwischen 1869 und 1875 gibt es nirgends
Angaben zu weiteren Kindern Leopolds und Floras. Auf den erstgeborenen
Sohn Rudolf folgten jedenfalls in Wien noch weitere fĂĽnf Kinder : Theresia oder
»Reserl« (*12.04.1877), Arnold und Heinrich (*08.08.1879 ; Arnold †23.09.1879)
sowie Otto und Marta (*25.09.1880 ; Otto †03.01.1881).37 Zweimal handelte es
sich um Zwillingsgeburten, wobei einer der Zwillinge jeweils wenige Wochen
nach der Geburt verstarb.
Leopold Viertls Familie zog innerhalb des heutigen 16. Wiener Gemeinde-
bezirkes oft um, was auf eine prekäre Lebenssituation hindeutet. In den Ge-
burtsmatriken der Kinder wird jedes Mal eine andere Adresse genannt. Das
»Neue Lerchenfeld« wie es damals hieß – erst 1890 wurde dieser großstädtische
Vorstadtdistrikt mit der Gemeinde Ottakring vereinigt und 1892 formal an
Wien angeschlossen – war neben dem Prater das »Zentrum vormärzlicher Po-
pulärkultur« gewesen und »urbane Dynamik« entstand auch aus »sozialen Miss-
ständen«.38 Leopold Viertl passte beruflich als Hausierer und später als Regen-
schirmmacher oder Regenschirmfabrikant – wahrscheinlich ein kleiner Betrieb
in einem Hinterhof – in diese Gegend, wo sich »Unterschichtsbevölkerung in
ungewöhnlicher Dichte« konzentrierte.39 Der Anteil der jüdischen Bevölkerung
war hier mit 2,6 Prozent sehr gering.
35 BV, Autobiographie. Ă–sterreich. Illusionen, o.D., o.S., K19, A : Viertel, DLA.
36 Geburtsmatriken der IKG Wien 1875, RZ 252.
37 Geburtsmatriken der IKG Wien 1877, RZ 648 ; 1879, RZ 1112 und 1113 ; 1880, RZ 1360 und
1361. Seine Verlassenschaftsabhandlung fĂĽhrte allerdings nur vier der sechs bzw. acht nachweisba-
ren Kinder an, BG Hernals, A4/4 : 4A 1139/19, WStLA.
38 Maderthaner, Wolfgang und Musner, Lutz : Masse, Kultur und Politik im Wiener Fin-de-Siècle, in :
Horak u.a. (Hg.), Metropole, 2000, Bd 1, 97–168, 110–116.
39 Ibid.
Berthold Viertel
Eine Biografie der Wiener Moderne
- Titel
- Berthold Viertel
- Untertitel
- Eine Biografie der Wiener Moderne
- Autor
- Katharina Prager
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20832-7
- Abmessungen
- 15.5 x 23.2 cm
- Seiten
- 368
- Kategorie
- Biographien
Inhaltsverzeichnis
- Ein chronologischer Ăśberblick 7
- Einleitend 19
- 1. BERTHOLD VIERTELS RĂśCKKEHR IN DIE Ă–STERREICHISCHE MODERNE DURCH EXIL UND REMIGRATION
- 2. ERINNERUNGSORTE DER WIENER MODERNE
- Moderne in Wien 99
- Monarchisches GefĂĽhl 118
- Galizien 129
- JĂĽdisches Wien 139
- Katholische Dienstmädchen 150
- Deutsche Kultur 161
- Luegers Wien 173
- MitschĂĽler Hitler 184
- Jugendliche Kulturanarchisten 196
- Familie Adler 209
- Studium 228
- Sexuelle Emancipation 245
- Karl Kraus 268
- Theater 291
- Erster Weltkrieg 310
- Nachsatz 333
- Archivalien 336
- Dank 342
- Literaturverzeichnis 344
- Bildnachweis 358
- Personenregister 359