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Nationsidee, Kirche & Religionsfonds 167
zugunsten der Ruthenen in der Bukowina nährte das ständige Misstrauen nationaler
Kreise, die sich zusehends in die Defensive gedrängt fühlten.185 Die allmähliche Nati-
onalisierung des Konfessionsbewusstseins einer vorwiegend bäuerlichen Bevölkerung
trug darüber hinaus zur wachsenden Aufladung dieses Konflikts bei.186 Gerüchte um
die Einrichtung eines röm.-kath. Bischofssitzes empfand man seitens der Orthodoxie –
wohl auch in Erinnerung an die polnisch-galizische Zeit
– zudem als ernst zu nehmende
Bedrohung, besonders im Hinblick auf die Volksschulen, ihre Verwaltung, Finanzierung
und die Unterrichtssprache.187 Obwohl bereits 1844 eine allerhöchste Entschließung
verordnet hatte, dass der gr.-orient. Religionsfonds »zum Unterhalte griechisch-nicht
unierter Volksschulen zu verwenden« sei und damit auch die Aufsicht dem gr.-orient.
Konsistorium oblag, behauptete noch 1860 die von Galizien aus gesteuerte katholische
Kirche ihre vormalige Stellung als Schulbehörde. Ein Großteil der betroffenen Schulen
blieb folglich noch unter der Kontrolle des r.k. Erzbischofs in Lemberg. Ungeachtet des-
sen musste die Finanzierung der Bukowiner Religionsfonds bestreiten.188
Derartige Versuche galten jedenfalls schnell als »polnische Propaganda«, wogegen
sich vor allem rumänische akademische Studentenkreise äußerten189, zumal man im sel-
ben Jahr (1886) in der Bukowina der Errichtung der gr.-orient. Diözese vor 100 Jahren
gedachte.190 Obwohl die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung dem gr.-orient. Ritus
angehörte und die katholische, aber auch die unierte Kirche im Kronland nur einen sehr
kleinen Anteil der christlichen Konfession ausmachten, zeigte man sich von beiden Sei-
ten dazu als überaus empfindlich.191 Einiges an der angesprochenen ›misslichen‹ Lage der
Volksschulen in der Bukowina war indes zu einem Gutteil auf eigenes Verschulden und
weniger allein auf den bremsenden Einfluss der katholischen Kirche zurückzuführen. So
185 Das absolute Verhältnis Rumänen und Ruthenen in der Bukowina lag 1869 noch bei 209.000 zu
191.000 (Gesamteinwohnerzahl des Kronlandes 511.000) ; 1900 bei 229.000 zu 297.000 (730.000)
und 1910 bei 273.000 zu 305.000 (795.000) ; Statistisches Landesamt 1913, Ergebnisse ; Ano-
nymus 1872, Ort-Repertorium ; zur Dynamisierung der nationalen Frage im Zusammenhang mit
den Volkszählungen in der Habsburgermonarchie vgl. Göderle 2016, Zensus.
186 Im Überblick für die Jahrhundertwende vgl. Scharr 2011, Religionsfonds.
187 Găina 1907, Arhiepiscopul, 20 ; »Consistoriul nostru a lucrat pentru şcoalele noastre poporale în
decurs de 9 ani de trei ori mult decât Leşii Galiţieni în decurs de 64 de ani.« [Unser Konsistorium
hat für unsere Volksschulen während der neun Jahre dreimal mehr gearbeitet als die galizischen
Polen im Laufe von 64 Jahren] ; Morariu 1893, Păţi, 106.
188 Fremden-Blatt. Außerordentliche Beilage zu Nr. 267, Verhandlungen des verstärkten Reichsrathes,
Sitzung v. 18.IX.1860, Volksschulwesen Bemerkungen Baron Petrinos, 17f.; dazu im Detail Ungu-
reanu 2015, Sistemul, 67–73 ; ders. 2007, Invăţământul, 36–39.
189 Neue Freie Presse Nr. 7791 v. 6.V.1886, 4.
190 Akademischer Senat (Hg.) 1900, Universität, LIX.
191 Anonymus 1891, Apologie ; Neşciuc 1893, Istoricul, 28 ; Popovici 1891, Brief.
Der griechisch-orientalische Religionsfonds der Bukowina 1783–1949
Kontinuitäten und Brüche einer prägenden Institution des Josephinismus
- Titel
- Der griechisch-orientalische Religionsfonds der Bukowina 1783–1949
- Untertitel
- Kontinuitäten und Brüche einer prägenden Institution des Josephinismus
- Autor
- Kurt Scharr
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20927-0
- Abmessungen
- 17.4 x 24.5 cm
- Seiten
- 447
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Zum Geleit! 11
- Einleitung 13
- 1. Vorwort 13
- 2. Institutionen als Forschungsgegenstand: Analyse & Methodik 18
- 3. Aspekte des Josephinismus. Der katholische Religionsfonds 34
- 4. Gründung des griechisch-orientalischen Religionsfonds 43
- 5. Die wirtschaftliche Situation des Religionsfonds Mitte des 19
- 6. Nationsidee, Kirche & Religionsfonds 116
- 7. Die wirtschaftliche Situation des Religionsfonds bis 1914 215
- 8. Fondul Bisericesc Ortodox Român 1918–1948 246
- 9. Die wirtschaftliche Situation um 1938 289
- 10. Hebel strukturellen Wandels : Jakobeny – Dornawatra (1784–1949) 306
- 11. Zusammenfassungen 340
- I. Verzeichnis ungedruckter Quellen 371
- II. Abbildungsverzeichnis 377
- III. Abkürzungsverzeichnis 380
- IV. Literaturverzeichnis 381
- V. Personenregister 433
- VI. Synoptische Ortsnamenkonkordanz 439