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172 Die Institution: Struktur & Werte
Zum einen – und das musste ihm als Reichsratsabgeordneter durch die Debatten um
den letztlich gescheiterten ersten böhmischen Ausgleichsversuch 1871 bewusst gewor-
den sein
– erstarkten dadurch von Neuem die national-polnischen Kräfte im benachbar-
ten Galizien-Lodomerien als dringend benötigte Mehrheitsbeschaffer der Wiener Re-
gierungen. Es stand aus seiner Position zu befürchten, dass damit der Einfluss Lembergs
neuerlich auf die Bukowina übergreifen könnte, zum Nachteil der gr.-orient. Kirche so-
wie des Religionsfonds. Administrativ hatte man sich ja erst vor wenigen Jahren begon-
nen, langsam voneinander zu entflechten. Die Direktiven des röm.-kath. Konsistoriums
in Lemberg zu den Schulen der Bukowina besonders während des Neoabsolutismus
hatte man noch in lebhafter Erinnerung, Morariu-Andriewicz, der u.a. dieser Schulpo-
litik seinen Doppelnamen verdankte, am allermeisten.213 Andererseits schien der Zeit-
punkt für die Bukowina denkbar günstig, dem geschwächten Zentrum gegenüber Zu-
geständnisse mit Erfolg abringen zu können, die letztlich sowohl auf die Annahme des
neuen Statuts für den Religionsfonds (1870) – gegen das sich Morariu-Andriewicz in
dieser Form teilweise ausgesprochen hatte – als auch auf die Einrichtung einer eigenen
Metropolie (1873) hinausliefen.
Morariu-Andriewicz erkannte in dieser Konstellation auch die realpolitische Chance,
von ihm als legitim wahrgenommene Rechte der rumänischen Bevölkerung des Kron-
landes einzufordern. Eine der Ursachen dafür lag sicherlich im wachsenden Bevölke-
rungsdruck seitens ruthenischer Einwanderer aus Galizien und in der unmissverständli-
chen politisch-konnotierten Wahrnehmung dieses Phänomens innerhalb der Bukowina
bzw. ihrer rumänischen Eliten ; selbstverständlich aber ebenso in den damit vorgebrach-
ten ruthenischen Ansprüchen auf Mitbestimmung gegenüber einer rumänisch domi-
nierten Kirchenhierarchie.
Die persönlich angespannte Situation zwischen Bischof Hackmann und Morariu-An-
driewicz fügte diesem komplizierten Verhältnis eine weitere Facette hinzu. Hackmann
als absolutistisch denkender Kirchenhierarch wollte und konnte die Eigeninitiativen sei-
nes Konsistorialrates nicht dulden bzw. konnte diese Subordination nur als mangelnde
Loyalität und Disziplinlosigkeit interpretieren. Zudem musste Hackmann in der betont
nationalen Haltung von Morariu-Andriewicz die aufdämmernde Gefahr der Nationali-
sierung seiner Diözese gespürt haben, die er ebenfalls keinesfalls bereit war zu tolerie-
ren. Die auf Jahre hinaus verzögerte Inthronisierung sowie die geradezu intrigenhafte
213 Ob dabei die vermutete ruthenische Herkunft seiner Vorfahren, wie sie verschiedentlich in der Li-
teratur angedeutet worden ist, auch eine Rolle gespielt hat, ist in dieser Form nicht zu beantworten,
zumal Morariu-Andriewicz selbst bereits in einem rumänischen Umfeld aufgewachsen war und
derartige nationale Zuweisungen in der Bukowina politisch gerne instrumentalisiert wurden ; van
Drunen 2015, Bunch, 170.
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Der griechisch-orientalische Religionsfonds der Bukowina 1783–1949
Kontinuitäten und Brüche einer prägenden Institution des Josephinismus
- Titel
- Der griechisch-orientalische Religionsfonds der Bukowina 1783–1949
- Untertitel
- Kontinuitäten und Brüche einer prägenden Institution des Josephinismus
- Autor
- Kurt Scharr
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20927-0
- Abmessungen
- 17.4 x 24.5 cm
- Seiten
- 447
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Zum Geleit! 11
- Einleitung 13
- 1. Vorwort 13
- 2. Institutionen als Forschungsgegenstand: Analyse & Methodik 18
- 3. Aspekte des Josephinismus. Der katholische Religionsfonds 34
- 4. Gründung des griechisch-orientalischen Religionsfonds 43
- 5. Die wirtschaftliche Situation des Religionsfonds Mitte des 19
- 6. Nationsidee, Kirche & Religionsfonds 116
- 7. Die wirtschaftliche Situation des Religionsfonds bis 1914 215
- 8. Fondul Bisericesc Ortodox Român 1918–1948 246
- 9. Die wirtschaftliche Situation um 1938 289
- 10. Hebel strukturellen Wandels : Jakobeny – Dornawatra (1784–1949) 306
- 11. Zusammenfassungen 340
- I. Verzeichnis ungedruckter Quellen 371
- II. Abbildungsverzeichnis 377
- III. Abkürzungsverzeichnis 380
- IV. Literaturverzeichnis 381
- V. Personenregister 433
- VI. Synoptische Ortsnamenkonkordanz 439