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202 Die Institution: Struktur & Werte
via Bukowinaer Post der Wiener Regierung ausrichten, eigentlich nur dem »romanisato-
rischen Treiben des Konsistoriums wohlgefällig« zuzuschauen, während sich der »granit-
feste romanisatorische Metropolit Dr. Repta die Hände« reibe.334
Die Folgen einer derart dauerhaft in die Landbevölkerung hineingetragenen poli-
tischen Agitation ließen nicht lange auf sich warten und mündeten in einem kleinen
Eklat. So verweigerte während der kanonischen Visitation einer Volksschule im Kotz-
manner Bezirk in der Nordbukowina einer der anwesenden Lehrer ostentativ und aus
Protest den vom Erzbischof angebotenen Handschlag.335 Die Jungruthenen blieben bei
ihrer in erster Linie vorgebrachten Forderung nach einer paritätischen Besetzung des
Konsistoriums ; eine Forderung, die sie sowohl beim Erzbischof als auch beim Landes-
präsidium deponierten und das nicht ohne gleichzeitig bewusst drohend den sprich-
wörtlichen Teufel der Union mit Rom an die Wand zu malen.
Leider hat das Rechtsempfinden der eigenen, der anderen Nationalität angehörenden Cultus-
genossen bisher nur zu wenig Objektivität aufgebracht, als dass die bedrängte Situation der gr.
ort. Ruthenen dieses Landes auf dem Feld der Kirche auch nur einigermassen hätte verstanden
werden wollen. Der nationale Antagonismus war stärker und mächtiger als der Sinn für die
Erhaltung der auf sich allein angewiesenen orthodox-katholischen Kirche und ihrer Glaubens-
lehren. Chauvenistische (sic !) Führer haben es unumwunden offen erklärt, die orthodoxe Kir-
che dieses Landes lieber nach Rom auszuliefern, ehe sie eine faktische Gleichberechtigung der
Ruthenen mit den Rumänen erleben würden.336
Aber auch die Altruthenen versuchten sich im Gegenzug neuerlich in Position zu brin-
gen und politisches Terrain zu gewinnen. In Folge einer Volksversammlung formulier-
ten sie ihrerseits Wünsche und überreichten diese während einer Audienz dem Erzbi-
schof, nicht ohne sich damit zugleich von den Jungruthenen und der von ihnen ange-
strebten Teilung der Diözese deutlich zu distanzieren.337 Diese Differenzen hielten die
Altruthenen indes keineswegs davon ab, ebenso wie ihre politischen Gegner, die Bewil-
ligung eines Kirchenkongresses zu erbitten.338 Jene schon erwähnte, im Kontext mit der
334 Bukowinaer Post Nr. 1998 v. 22.XI.1906, 2, Ruthenischer Religionsunterricht.
335 Czernowitzer Allgemeine Zeitung Nr. 710 v. 19.V.1906, 1, Schrankenlose Agitation.
336 DACZ 320/3/87 Verein Towarystwo Ruskych Prawoslawnych Swiaszczennykiw na Bukowyni [Ver-
ein der ruthenisch-orthodoxen Pfarrer in der Bukowina]an Erzbischof 15.II.1909, gez. Dionys
Jeremijczuk (Obmann) ; sowie Landespräsidium an Erzbischof v. 27.VIII.1909 mit der Bitte um
Äußerung zur Eingabe des Vereins.
337 Czernowitzer Allgemeine Zeitung Nr. 695 v. 1.V.1906, 1f., Zur gr.-or. Kirchenfrage. Ein Memorandum
der Altruthenen.
338 Czernowitzer Allgemeine Zeitung Nr. 692 v. 27.IV.1906, 3, Der Kirchenstreit in der Bukowina.
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Der griechisch-orientalische Religionsfonds der Bukowina 1783–1949
Kontinuitäten und Brüche einer prägenden Institution des Josephinismus
- Titel
- Der griechisch-orientalische Religionsfonds der Bukowina 1783–1949
- Untertitel
- Kontinuitäten und Brüche einer prägenden Institution des Josephinismus
- Autor
- Kurt Scharr
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20927-0
- Abmessungen
- 17.4 x 24.5 cm
- Seiten
- 447
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Zum Geleit! 11
- Einleitung 13
- 1. Vorwort 13
- 2. Institutionen als Forschungsgegenstand: Analyse & Methodik 18
- 3. Aspekte des Josephinismus. Der katholische Religionsfonds 34
- 4. Gründung des griechisch-orientalischen Religionsfonds 43
- 5. Die wirtschaftliche Situation des Religionsfonds Mitte des 19
- 6. Nationsidee, Kirche & Religionsfonds 116
- 7. Die wirtschaftliche Situation des Religionsfonds bis 1914 215
- 8. Fondul Bisericesc Ortodox Român 1918–1948 246
- 9. Die wirtschaftliche Situation um 1938 289
- 10. Hebel strukturellen Wandels : Jakobeny – Dornawatra (1784–1949) 306
- 11. Zusammenfassungen 340
- I. Verzeichnis ungedruckter Quellen 371
- II. Abbildungsverzeichnis 377
- III. Abkürzungsverzeichnis 380
- IV. Literaturverzeichnis 381
- V. Personenregister 433
- VI. Synoptische Ortsnamenkonkordanz 439