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204 Die Institution: Struktur & Werte
1911 ein Majestätsgesuch der gr.-orient. Rumänen in der Bukowina mit der Bitte »um
Errichtung eines abgesonderten Bistums für die gr. or. Ruthenen« einzureichen.343 Da-
mit wollte der Kirchenrechtler einerseits einen bewussten Schritt zum Frieden in der
Erzdiözese setzen, zugleich aber andererseits der in Zukunft absehbaren Möglichkeit
eines (jung)ruthenischen Erzbischofs vorbauen. Weniger besonnen argumentierende
Kreise der orthodoxen Rumänen sprachen mittlerweile bereits von der »Unmöglichkeit
eines weiteren aufrichtig friedlichen und brüderlichen Zusammenlebens mit den Ru-
thenen in einer und derselben Diöcese«.344 Das Kultusministerium jedoch hatte Czer-
nowitz schon Jahre zuvor wissen lassen, dass eine Teilung der Diözese nicht in Frage
komme. Es blieb bis zum Ausbruch des Weltkrieges bei der zugestandenen paritätischen
Organisation, d.h. nationalen Aufteilung des Konsistoriums.345
Insgesamt engte sich damit der Handlungsspielraum des Metropoliten, aktiv in die
Entwicklung einzugreifen, mit jedem Jahr mehr ein. So konnte selbst der beherzte Auf-
ruf Reptas in einem auf Ruthenisch wie Rumänisch verfassten Hirtenbrief, den der Erz-
bischof mit dem Wahlspruch des Kaisers, Viribus Unitis, als Devise für alle Gläubigen
seiner Kirche abschloss, nur mehr unmerklich zur Entspannung der Gesamtsituation
beitragen.346
Zwei Jahre vor Kriegsausbruch begann sich mit dem Tod Calinescus 1912 das Beset-
zungskarusell im Konsistorium neuerlich zu drehen. Obwohl man in der Czernowitzer
liberalen Öffentlichkeit die komplexe Situation einigermaßen objektiv und weitgehend
richtig einschätzte, änderte das wenig an den daraufhin erneut einsetzenden wechsel-
seitigen Vorwürfen und Ansprüchen der daran beteiligten Gruppierungen.347 Diesmal
versammelten sich, einberufen vom Landeshauptmann Hormuzaki sowie Flondor und
Theodor Stefanelli (1849–1920)348, die Rumänen auf dem Sokolplatz beim Czernowitzer
Volksgarten. Unter Betonung ihrer dynastischen Gesinnung sollte eine Deputation mit
343 DACZ 320/3/90, Erlaß Ministerium für Kultus und Unterricht v. 24.XIII.1911, Zl. 1951/K.U.M.
Landespräsidium Bukowina an Repta v. 22.X.1911, Übermittlung des Majestätsgesuchs in Abschrift
mit der Bitte um Gutachten ; das Gesuch trägt laut der Zusammenfassung von E. Popowicz 2.700
Einzelunterschriften und 13.700 Unterschriften über entsprechende Vollmachten.
344 Czernowitzer Allgemeine Zeitung Nr. 2293 v. 10.IX.1911, 1, Die Kirchenfrage. Ein Bukowiner gr.-or.
Priester rumänischer Nationalität.
345 Erlass Ministerium f. Kultus und Unterricht v. 20.VII.1908, Zl. 1970, sowie ksl. Entschließung v.
9.XI.1908 ; nach Bukowinaer Post Nr. 2828 v. 7.IV.1912, 1–3, Die Antwort der gr.-or. Ruthenen.
346 Rum. »cu puteri unite« /ruth. »со единеными силами« ; Repta 1908, Лист/Epistola, Schlusswort.
347 Czernowitzer Allgemeine Zeitung Nr. 2454 v. 28.III.1912, 1, Die gr.-or. Kirchenfrage.
348 Rum. Teodor V. Ştefanelli (auch ruth. Theodor V. Stefaniuc), Schriftsteller und Rechtshistoriker,
vormaliger k.k. Oberlandesgerichtsrat in Lemberg.
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Der griechisch-orientalische Religionsfonds der Bukowina 1783–1949
Kontinuitäten und Brüche einer prägenden Institution des Josephinismus
- Titel
- Der griechisch-orientalische Religionsfonds der Bukowina 1783–1949
- Untertitel
- Kontinuitäten und Brüche einer prägenden Institution des Josephinismus
- Autor
- Kurt Scharr
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20927-0
- Abmessungen
- 17.4 x 24.5 cm
- Seiten
- 447
- Kategorien
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Inhaltsverzeichnis
- Zum Geleit! 11
- Einleitung 13
- 1. Vorwort 13
- 2. Institutionen als Forschungsgegenstand: Analyse & Methodik 18
- 3. Aspekte des Josephinismus. Der katholische Religionsfonds 34
- 4. Gründung des griechisch-orientalischen Religionsfonds 43
- 5. Die wirtschaftliche Situation des Religionsfonds Mitte des 19
- 6. Nationsidee, Kirche & Religionsfonds 116
- 7. Die wirtschaftliche Situation des Religionsfonds bis 1914 215
- 8. Fondul Bisericesc Ortodox Român 1918–1948 246
- 9. Die wirtschaftliche Situation um 1938 289
- 10. Hebel strukturellen Wandels : Jakobeny – Dornawatra (1784–1949) 306
- 11. Zusammenfassungen 340
- I. Verzeichnis ungedruckter Quellen 371
- II. Abbildungsverzeichnis 377
- III. Abkürzungsverzeichnis 380
- IV. Literaturverzeichnis 381
- V. Personenregister 433
- VI. Synoptische Ortsnamenkonkordanz 439