Page - 101 - in Heimatrecht und Staatsbürgerschaft österreichischer Juden - Vom Ende des 18. Jahrhunderts bis in die Gegenwart
Image of the Page - 101 -
Text of the Page - 101 -
Kafkas Sprachen 101
gehörten Konflikte bis hin zu Straßenkämpfen zwischen Schülern »deutscher« und
Schülern »tschechischer« Schulen zum Alltag. Kafkas Bildungsgang ist gut belegt. So-
wohl seine Volksschule wie auch das Gymnasium waren Schulen mit deutscher Un-
terrichtsprache und einem hohen Anteil an jüdischen Schülern.344 Zur Lektüre seiner
Maturaklasse gehörten : Goethes Hermann und Dorothea, Schillers Braut von Messina,
Kleists Prinz von Homburg, Grillparzers König Ottokars Glück und Ende, auch eine
Redeübung Kafkas zum Torquato Tasso ist überliefert. Im Griechischen standen Pla-
tons Apologie und Sophokles Antigone auf dem Lehrplan.345 Es war der klassische
humanistische Bildungskanon, der in der ganzen Monarchie, ob in Prag oder Wien,
Lemberg/Lwów/L’viv oder Czernowitz/Černivci/Cernăuţi, gleich verbindlich war –
gleich verbindlich, doch keineswegs überall mehr in der gleichen Sprache. Längst war
Unterricht in der Muttersprache ein anerkanntes Prinzip, längst hatten die Nationali-
täten sich ihren Anteil am Bildungswesen erobert, längst handelte es sich um deutsche
Bildung in allen Sprachen. Kafka gehört in seiner Gymnasialzeit nicht mehr zu den
guten Schülern. Die deutschen Gymnasien – in der Literatur von Musil über Zweig
bis Torberg zur Genüge porträtiert – galten, verglichen mit den böhmischen, als be-
344 Zur Sprachwirklichkeit an den Prager Volksschulen siehe : Ingrid Fleischmann : Angaben zur Spra-
che in den Schulkatalogen der Prager Volksschulen, in : Marek Nekula et al. (Hg.) : Franz Kafka im
sprachnationalen Kontext seiner Zeit (Köln/Weimar/Wien 2007), S. 183–212.
345 Vgl. Roger Hermes et al. (Hg.) : Franz Kafka, Eine Chronik (Berlin 1999), S. 25 sowie Hartmut
Bin der : Franz Kafka. Leben und Persönlichkeit (Stuttgart 1983).
Abb. 12 : Franz Kafka (1883–1924) ; Quelle : ÖNB/
Wien, Bildarchiv
Heimatrecht und Staatsbürgerschaft österreichischer Juden
Vom Ende des 18. Jahrhunderts bis in die Gegenwart
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Heimatrecht und Staatsbürgerschaft österreichischer Juden
- Subtitle
- Vom Ende des 18. Jahrhunderts bis in die Gegenwart
- Author
- Hannelore Burger
- Location
- Wien
- Date
- 2014
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79495-0
- Size
- 15.5 x 23.5 cm
- Pages
- 292
- Keywords
- Heimatrecht, Staatsbürgerschaft, Juden, Österreichische Juden, Judenemanzipation, Toleranz, Josephinische Reformen, Österreichische Monarchie, Ausgleich, Österreich-Ungarn, Erste Republik, Nationalsozialistische Judenverfolgung, Ausbürgerung
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- Einführung 9
- Von der Epoche des josephinischen Reformabsolutismus bis zum Ende des Neoabsolutismus 15
- Die Frage der jüdischen Bürgerrechte in der Aufklärung 15
- Exkurs : Juden in den österreichischen Ländern vom Hochmittelalter bis in das Zeitalter der Emanzipation 19
- Die josephinische Zäsur 26
- Das böhmisch-mährische System der Familienstellen 29
- Das Toleranzpatent für die Juden Galiziens 34
- Anhaltende »Verschiedenheit des politischen Zustandes« 38
- Die Vertretung der Tolerierten 39
- Das Judenamt 40
- Die Hofkanzlei als Hüterin der Toleranz 45
- Taufen und Nobilitierungen 47
- Die Kodifizierung des Staatsbürgerschaftsrechts 51
- Die staatsbürgerliche Stellung der Juden im Vormärz
- und das Auftauchen der »Judenfrage« 53
- Die bürgerliche Revolution von 1848 und die veränderte staatsbürgerliche Stellung der Juden 59
- Juden als österreichische Reichsbürger 62
- Inklusion und Exklusion von Juden in der Zeit des Neoabsolutismus 64
- Das Heimatrecht der österreichischen Juden 70
- Die Sonderstellung der »türkischen« Juden 74
- Die Entwicklung von Heimatrecht und Staatsbürgerschaft in der Epoche des Ausgleichs 77
- Der Anteil der Juden an den Einbürgerungen 77
- Die Vermehrung der jüdischen Bevölkerung in Cisleithanien 80
- Die rechtliche Gleichstellung der Juden durch das Staatsgrundgesetz über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger im Dezember 1867 82
- Rückkehr in die »verbotene Stadt« 83
- Paradoxe Fremde 85
- Die dualistische Verschärfung 86
- Motive für den Erwerb von Heimatrecht und Staatsbürgerschaft 88
- Heimatrecht und Staatsbürgerschaft jüdischer Frauen 90
- Heimatrecht und soziale Frage 91
- Der Fall Dr. Hugo Stark 92
- Der Fall Julia Singer 93
- Der Fall Lea Weitzmann 95
- »Schutzgenossen« und »Untertanen de facto« 96
- Zur Ambivalenz von Heimatrecht und Staatsbürgerschaft 97
- Die Nationalitätenkonflikte der Verfassungszeit und die (sprach-)nationale Identität der Juden 100
- Kafkas Sprachen 100
- Die Bedeutung von Bildung im Judentum 103
- Sprache, Nationalität und Recht im Unterrichtswesen 105
- Jüdische Kinder in den Mühlen des Nationalitätenkampfes 109
- Der Anteil jüdischer Schüler am höheren Bildungswesen 112
- Sprachen, Nationalitäten, Identitäten 114
- Das mehrsprachige Unterrichtswesen in der Bukowina 115
- Der Verdacht gegen die Mehrsprachigkeit 116
- Die Ethnisierung der Nationalitätenkonflikte 117
- Die Wiederkehr der »Judenfrage« in der Epoche des Ausgleichs 119
- Juden im Ersten Weltkrieg 130
- Theorie und Praxis von Heimatrecht und Staatsbürgerschaft in der Ersten Republik 132
- Die Aus- und Einbürgerungen des autoritären Ständestaates 141
- Verfolgung, Vertreibung, Ausbürgerung, Vernichtung während der NS-Herrschaft 146
- Die Implementierung der Nürnberger Gesetze in Österreich 146
- Signaturen der Vertreibung 152
- Die Ausbürgerung und der Befehl zur »Endlösung« 155
- Die Wiederherstellung der Staatsbürgerschaft in der Zweiten Republik 166
- Der Fall Raviv 172
- Staatenlosigkeit als Massenschicksal 187
- Der Fall Elias Canetti 188
- Der Fall Manès Sperber 200
- Semantische Nachbemerkungen 213
- Verzeichnis der Archive 222
- Literaturverzeichnis 223
- Verzeichnis der Abbildungen und Tabellen 244
- Zeittafel 245
- Register 264
- Personen 264
- Orte 269
- Sachen 271