Web-Books
in the Austria-Forum
Austria-Forum
Web-Books
Geschichte
Historische Aufzeichnungen
Heimatrecht und Staatsbürgerschaft österreichischer Juden - Vom Ende des 18. Jahrhunderts bis in die Gegenwart
Page - 111 -
  • User
  • Version
    • full version
    • text only version
  • Language
    • Deutsch - German
    • English

Page - 111 - in Heimatrecht und Staatsbürgerschaft österreichischer Juden - Vom Ende des 18. Jahrhunderts bis in die Gegenwart

Image of the Page - 111 -

Image of the Page - 111 - in Heimatrecht und Staatsbürgerschaft österreichischer Juden - Vom Ende des 18. Jahrhunderts bis in die Gegenwart

Text of the Page - 111 -

Jüdische Kinder in den Mühlen des Nationalitätenkampfes 111 Vor allem an der sogenannten Sprachgrenze wurden Gemeinden bei der Begründung von Schulen mit der Unterrichtssprache der Sprachminderheit von den sich nach 1880 konstituierenden nationalen Schulvereinen tatkräftig unterstützt. Unter den besonde- ren Bedingungen des österreichischen Sprachen- und Nationalitätenrechts begannen eine Vielzahl von Schutzvereinen sprachliche Grenzverteidigung bzw. nationale Besitz- standswahrung zu betreiben  – allen voran der im Mai 1880 ausdrücklich als überpar- teilich gegründete, liberal ausgerichtete »Deutsche Schulverein«. Gehörten diesem  – er zählte bereits ein Jahr nach seiner Gründung 30 000 Mitglieder  – anfangs noch viele Liberale und spätere Sozialdemokraten an, darunter auch Juden wie etwa Viktor Adler, so entwickelte sich diese größte zivilgesellschaftliche Vereinigung Österreichs später zu einer, wie Albert Fuchs feststellt, »Pflanzstätte des Rassendünkels«.382 Der Umstand nämlich, dass die von ihren Eltern bevorzugt in Schulen mit deutscher Unterrichtsspra- che geschickten jüdischen Kinder nicht unbedeutend zum sonst gefährdeten Bestand deutscher Schulen beitrugen (etwa in Eibenschitz/Ivancice), bewirkte, dass die Juden- frage im Deutschen Schulverein sehr bald präsent war. Wurde im Jahr 1882 die For- derung, keine Juden mehr in den Verein aufzunehmen, von Dr. Moritz Weitlof, dem ersten Obmann des Deutschen Schulvereins, noch energisch zurückgewiesen, kam es einige Jahre später zur Absplitterung der Antisemiten unter Führung von Georg Schö- nerer. Drei Jahre später wurde Schönerers Gegenverein wegen ständiger antislawischer und antisemitischer Hetze durch die Regierung Taaffe verboten. Daraufhin schlossen sich die Antisemiten dem Deutschen Schulverein wieder an und verstärkten somit die deutschnationalen und rassistischen Tendenzen.383 Doch auch seitens der tschechischen Schulvereine wurde immer wieder der Vor- wurf erhoben, dass viele Schulen mit deutscher Unterrichtssprache ihre Existenz al- lein den jüdischen Kindern verdankten. Die häufige Zurückweisung ihrer Option, ihre Kinder auf Schulen mit deutscher Unterrichtssprache zu schicken  – von deut- scher Seite, weil sie Juden waren und von tschechischer Seite, weil sie sich als Deut- sche bekannten  –, macht das Dilemma jüdischer Eltern in diesem verhängnisvollen Krieg an der Sprachgrenze besonders deutlich. Dass dieser vielfach bloß von den Funktionären nationalistischer Vereine und Parteien geführt wurde, die Bevölkerung dieser Grenzregionen selbst aber weitgehend ihrer traditionellen Zweisprachigkeit treu blieb, darauf hat in jüngster Zeit Pieter Judson aufmerksam gemacht.384 382 Albert Fuchs : Geistige Strömungen in Österreich 1867–1918 (Nachdruck von 1949, Wien 1984), S.  193. 383 Gerhard Weidenfeller : VDA, Verein für das Deutschtum im Ausland. Allgemeiner Deutscher Schulverein (1881–1918) (=  Europäische Hochschulschriften Reihe III, Bd. 66) (Bern/Frankfurt/ Main 1976), S.  114–117. 384 Pieter M. Judson : Guardians of the Nation ? Activists on the Language Frontiers of Imperial Austria (Cambridge MA/London 2006), S.  19–65.
back to the  book Heimatrecht und Staatsbürgerschaft österreichischer Juden - Vom Ende des 18. Jahrhunderts bis in die Gegenwart"
Heimatrecht und Staatsbürgerschaft österreichischer Juden Vom Ende des 18. Jahrhunderts bis in die Gegenwart
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
Title
Heimatrecht und Staatsbürgerschaft österreichischer Juden
Subtitle
Vom Ende des 18. Jahrhunderts bis in die Gegenwart
Author
Hannelore Burger
Location
Wien
Date
2014
Language
German
License
CC BY-NC-ND 3.0
ISBN
978-3-205-79495-0
Size
15.5 x 23.5 cm
Pages
292
Keywords
Heimatrecht, Staatsbürgerschaft, Juden, Österreichische Juden, Judenemanzipation, Toleranz, Josephinische Reformen, Österreichische Monarchie, Ausgleich, Österreich-Ungarn, Erste Republik, Nationalsozialistische Judenverfolgung, Ausbürgerung
Categories
Geschichte Historische Aufzeichnungen

Table of contents

  1. Einführung 9
  2. Von der Epoche des josephinischen Reformabsolutismus bis zum Ende des Neoabsolutismus 15
  3. Die Frage der jüdischen Bürgerrechte in der Aufklärung 15
  4. Exkurs : Juden in den österreichischen Ländern vom Hochmittelalter bis in das Zeitalter der Emanzipation 19
  5. Die josephinische Zäsur 26
  6. Das böhmisch-mährische System der Familienstellen 29
  7. Das Toleranzpatent für die Juden Galiziens 34
  8. Anhaltende »Verschiedenheit des politischen Zustandes« 38
  9. Die Vertretung der Tolerierten 39
  10. Das Judenamt 40
  11. Die Hofkanzlei als Hüterin der Toleranz 45
  12. Taufen und Nobilitierungen 47
  13. Die Kodifizierung des Staatsbürgerschaftsrechts 51
  14. Die staatsbürgerliche Stellung der Juden im Vormärz
  15. und das Auftauchen der »Judenfrage« 53
  16. Die bürgerliche Revolution von 1848 und die veränderte staatsbürgerliche Stellung der Juden 59
  17. Juden als österreichische Reichsbürger 62
  18. Inklusion und Exklusion von Juden in der Zeit des Neoabsolutismus 64
  19. Das Heimatrecht der österreichischen Juden 70
  20. Die Sonderstellung der »türkischen« Juden 74
  21. Die Entwicklung von Heimatrecht und Staatsbürgerschaft in der Epoche des Ausgleichs 77
  22. Der Anteil der Juden an den Einbürgerungen 77
  23. Die Vermehrung der jüdischen Bevölkerung in Cisleithanien 80
  24. Die rechtliche Gleichstellung der Juden durch das Staatsgrundgesetz über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger im Dezember 1867 82
  25. Rückkehr in die »verbotene Stadt« 83
  26. Paradoxe Fremde 85
  27. Die dualistische Verschärfung 86
  28. Motive für den Erwerb von Heimatrecht und Staatsbürgerschaft 88
  29. Heimatrecht und Staatsbürgerschaft jüdischer Frauen 90
  30. Heimatrecht und soziale Frage 91
  31. Der Fall Dr. Hugo Stark 92
  32. Der Fall Julia Singer 93
  33. Der Fall Lea Weitzmann 95
  34. »Schutzgenossen« und »Untertanen de facto« 96
  35. Zur Ambivalenz von Heimatrecht und Staatsbürgerschaft 97
  36. Die Nationalitätenkonflikte der Verfassungszeit und die (sprach-)nationale Identität der Juden 100
  37. Kafkas Sprachen 100
  38. Die Bedeutung von Bildung im Judentum 103
  39. Sprache, Nationalität und Recht im Unterrichtswesen 105
  40. Jüdische Kinder in den Mühlen des Nationalitätenkampfes 109
  41. Der Anteil jüdischer Schüler am höheren Bildungswesen 112
  42. Sprachen, Nationalitäten, Identitäten 114
  43. Das mehrsprachige Unterrichtswesen in der Bukowina 115
  44. Der Verdacht gegen die Mehrsprachigkeit 116
  45. Die Ethnisierung der Nationalitätenkonflikte 117
  46. Die Wiederkehr der »Judenfrage« in der Epoche des Ausgleichs 119
  47. Juden im Ersten Weltkrieg 130
  48. Theorie und Praxis von Heimatrecht und Staatsbürgerschaft in der Ersten Republik 132
  49. Die Aus- und Einbürgerungen des autoritären Ständestaates 141
  50. Verfolgung, Vertreibung, Ausbürgerung, Vernichtung während der NS-Herrschaft 146
  51. Die Implementierung der Nürnberger Gesetze in Österreich 146
  52. Signaturen der Vertreibung 152
  53. Die Ausbürgerung und der Befehl zur »Endlösung« 155
  54. Die Wiederherstellung der Staatsbürgerschaft in der Zweiten Republik 166
  55. Der Fall Raviv 172
  56. Staatenlosigkeit als Massenschicksal 187
  57. Der Fall Elias Canetti 188
  58. Der Fall Manès Sperber 200
  59. Semantische Nachbemerkungen 213
  60. Verzeichnis der Archive 222
  61. Literaturverzeichnis 223
  62. Verzeichnis der Abbildungen und Tabellen 244
  63. Zeittafel 245
  64. Register 264
  65. Personen 264
  66. Orte 269
  67. Sachen 271
Web-Books
Library
Privacy
Imprint
Austria-Forum
Austria-Forum
Web-Books
Heimatrecht und Staatsbürgerschaft österreichischer Juden