Page - 27 - in Kerne, Kooperation und Konkurrenz - Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
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community spielte der Zugang zu natürlichen radioaktiven Materialien eine entschei-
dende Rolle. Präparate wurden getauscht, verliehen und zuweilen auch verkauft, um
Macht und Einfluss zu gewinnen. Das Kapitel zeigt, wie es den Wiener Radioaktivisten
und Radioaktivistinnen gelang, die wertvollen Ressourcen dank ihrer guten Kontakte
zur böhmischen Radiumindustrie und zu der mit dem Radiumhandel befassten k. k.
Ministerialbürokratie in der Hauptstadt zu konzentrieren.
Der Spielraum für die Radiumforschung erweiterte sich in Wien, seit dort das Ins-
titut für Radiumforschung als außeruniversitäre Forschungseinrichtung gegründet
wurde. Die Gründung gab Anstoß für ähnliche Entwicklungen im europäischen Aus-
land beziehungsweise folgte ihnen zum Teil. In der Schaffung von international gülti-
gen Standards zur Messung und Nomenklatur radioaktiver Zerfallsprozesse fand die
Macht der Wiener Physiker und Physikerinnen ihren unmittelbaren Niederschlag.
Wie der Erste Weltkrieg die Position der Radioaktivistengemeinschaft Österreichs im
internationalen Netzwerk der Radioaktivitätsforschung beeinflusste, wird am Ende des
Kapitels untersucht. Der Verlust des zeitweiligen Monopols auf die Gewinnung und
den Vertrieb von Radium und die wachsende Konkurrenz mit nicht-wissenschaftli-
chen Stellen um den kostbaren Rohstoff standen dem fortdauernden Verleih radioak-
tiver Strahlungsquellen, dem kontinuierlichen Austausch von Publikationen und der
Mobilität von Personen trotz der kriegerischen Auseinandersetzungen entgegen.
Gegenstand des zweiten Kapitels ist die Frage, wie sich die grundlegend veränderte
politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Situation der Ersten Republik auf die
Fortführung der Radioaktivitätsforschung in Österreich im internationalen Kontext
auswirkte. Es wird gezeigt, auf welche Ressourcen – Personal, radioaktive Präparate,
Institute – die Radioaktivistengemeinschaft in Österreich zurückgreifen konnte. So
ermöglichte etwa der aus der Vorkriegszeit ererbte Radiumschatz eine Wiederauf-
nahme der Radioaktivitätsforschung und den Einstieg in das neue Feld der Atomzer-
trümmerungsforschung. Verleih, Verkauf und Tausch von Poloniumpräparaten wur-
den zur Grundlage eines eigenen Netzwerkes, in dem Wien neben dem Laboratoire
Curie in Paris zu einem wichtigen Knotenpunkt wurde. Ihr, im Vergleich zu anderen
Verlierern des Krieges wie dem Deutschen Reich, wenig nationalistisches Auftreten
ebnete den Weg zurück in internationale Gremien. Das Kapitel zeigt auch, dass die
Radioaktivitäts- und kernphysikalische Forschung im verarmten Nachkriegsösterreich
auf den Zufluss internationaler Ressourcen angewiesen war. Dazu zählten einerseits die
strategisch wichtigen Kontakte zur belgischen Radiumindustrie, die den verlorenen
Zugriff auf die böhmischen Uranminen nach dem Zusammenbruch der Monarchie
kompensierten. Andererseits wäre die Atomzertrümmerungsforschung in Wien ohne
das finanzielle Engagement ausländischer Stiftungen wie der deutschen Notgemein-
schaft und der Rockefeller Foundation nicht denkbar gewesen.
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book Kerne, Kooperation und Konkurrenz - Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)"
Kerne, Kooperation und Konkurrenz
Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
- Title
- Kerne, Kooperation und Konkurrenz
- Subtitle
- Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
- Author
- Silke Fengler
- Editor
- Carola Sachse
- Mitchell G. Ash
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2014
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-79512-4
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 380
- Keywords
- Institute for Radium Research, nuclear research in Austria, History of science, National Socialism, The Cold War --- Radiuminstitut, Kernforschung in Österreich, Wissenschaftsgeschichte, Nationalsozialismus, Wissenschaftskooperation, Kalter Krieg
- Categories
- Naturwissenschaften Chemie
- Naturwissenschaften Physik
Table of contents
- 1. Kernforschung in Österreich im Spannungsfeld von internationalerKooperation und Konkurrenz 9
- 2. Österreich-Ungarn und die internationale Radioaktivitätsforschung, 1899–1918 30
- 3. Von der Radioaktivitäts- zur Atomzertrümmerungsforschung, 1919–1932 93
- 3.1 Die Naturwissenschaften in Österreich nach 1918 94
- 3.2 Das regionale Netzwerk festigt sich 97
- 3.3 Das Zentrum (re-)formiert sich 109
- 3.4 Das Zentrum in Aktion : Atomzertrümmerungsforschung als internationales Projekt 140
- 3.5 Die Anfänge der Atomzertrümmerungsforschung als Geschäft der Reichen 176
- 4. Kernforschung in Österreich, 1932–1938 178
- 4.1 Das Zentrum behauptet sich 179
- 4.1.1 Neue Standards für die Internationale Radiumstandard- Kommission 179
- 4.1.2 Neue Mitglieder für die Internationale Radiumstandard- Kommission 182
- 4.1.3 Der Ruf nach höchsten Spannungen in der internationalen Kernphysik 185
- 4.1.4 Die Wiener Reaktionen 190
- 4.1.5 Das Polonium-Netzwerk im Dienst der Neutronenforschung 193
- 4.1.6 Höhenstrahlungsforschung zwischen Peripherie und Zentrum 200
- 4.2 Das Zentrum verliert den Anschluss 206
- 4.3 Kernforschung in Österreich als nationales Projekt 226
- 4.4 Wüstentrockenheit auf dem Gebiet der Atomzertrümmerung 234
- 4.1 Das Zentrum behauptet sich 179
- 5. Kernforschung im Kontext des »Dritten Reiches«, 1938–1945 236
- 6. Kernforschung für die Alliierten – ein Epilog 307
- 7. Schluss 322
- 8. Anhang 334
- Abkürzungsverzeichnis 334
- Verzeichnis der benutzten Archivbestände 336
- Literaturverzeichnis 340
- Personenregister 369