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Das regionale Netzwerk formiert sich 43
Frühlingsregen die Grasspitzen hervorschießen, so schossen nach dem Amtsantritte
Exners die jungen Physiker aus dem Boden.«66 Rund fünfzig Physikerinnen und Phy-
siker wurden bei Exner promoviert.67 Von diesen gehörte aber nur ein kleiner Teil,
nämlich etwa 25 Personen, dem eigentlichen Exner-Kreis an. Um dem engeren Kreis
zugerechnet zu werden, musste die betreffende Person in Exners Labor gearbeitet
haben, bei ihm promoviert und wissenschaftlich durch ihn geprägt worden sein.68 Die
engsten Mitglieder hatten nach der Promotion als Exners Assistenten gearbeitet, wo-
bei nicht alle dem Kreis angehörten.69 Die Gruppe der weiteren Mitglieder hatte zwar
bei ihm dissertiert, war danach aber an einem anderen Institut tätig oder wechselte
ganz den Fachbereich.
Da Exner fast 30 Jahre an der Universität Wien als Ordinarius wirkte, bildete er
mehrere Generationen von Physikerinnen und Physikern aus.70 Die beiden ersten
Generationen von Exner-Schülern rücken hier und im Folgenden in den Fokus, da sie
der Physik in Österreich von der Jahrhundertwende bis in die späten 1930er Jahre
ihren Stempel aufdrückten. Die erste, ältere Generation umfasste die Jahrgänge der
zwischen 1865 und 1880 Geborenen. Sie waren am Ausgang des 19. Jahrhunderts
akademisch sozialisiert worden und erlebten die Radioaktivitätsforschung von ihren
Anfängen her. Viele Mitglieder dieser Generation übernahmen noch vor Beginn des
Ersten Weltkriegs eine Professur. Sie begannen ihre akademische Laufbahn zu einer
Zeit, als die Universitäten der Österreichisch-Ungarischen Monarchie expandierten.
Von den guten Berufsaussichten der ersten konnte die zweite Generation der Exner-
Schüler nur träumen. Dieser Generation gehörten Physikerinnen und Physiker an, die
66 Benndorf 1937, 7.
67 Vgl. die Aufstellung der Schüler Exners (seit seiner Habilitation), der Assistenten am II. Physikalischen
Institut und am Institut für Radiumforschung sowie das Verzeichnis der Privatdozenten als Vorlage für
Benndorfs Rede zur Enthüllung des Exner-Denkmals im Arkadenhof der Universität Wien in AÖAW,
FE-Akten, IR, NL Meyer, K 10, Fiche 157 : Meyer an Benndorf vom 8.1.1937.
68 AÖAW, FE-Akten, IR, NL Meyer, K 12, Fiche 197 : Meyer an Hahn vom 7.7.1927.
69 Die Deutungshoheit, wer dem Kreis angehörte, behielten sich die Mitglieder des engeren Exner-Kreises
vor. Vgl. AÖAW, FE-Akten, IR, NL Meyer, K 15, Fiche 239 (Meyer an Kohlrausch vom 14.1.1936) :
»Wir stylisierten absichtlich so, dass es nicht heisst : Die ›ehemaligen‹ Assistenten, sondern ›ehemalige As-
sistenten‹, um etwa Tuza, Nabl, Peters weglassen zu können.« Strittig war auch die Frage, ob Lise Meitner
dazugehörte, die bei Boltzmann und Exner studiert hatte. Vgl. AÖAW, FE-Akten, IR, NL Meyer, K 12,
Fiche 197 : Meyer an Hahn vom 7.7.1927.
70 Der Generationenbegriff wird hier in Anlehnung an das soziologische Konzept Karl Mannheims ver-
wendet. Nach Mannheim wird eine Generation durch gemeinsame prägende Erlebnisse vor allem in
der Jugend, sogenannte »Generationserlebnisse«, geprägt. Ein weiterer Generationszusammenhang ent-
steht dadurch, dass Personen, die etwa zur gleichen Zeit geboren wurden, »im selben historisch-sozialen
Raume« groß wurden. Vgl. Mannheim/Wolff 1970, 542.
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Kerne, Kooperation und Konkurrenz
Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
- Title
- Kerne, Kooperation und Konkurrenz
- Subtitle
- Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
- Author
- Silke Fengler
- Editor
- Carola Sachse
- Mitchell G. Ash
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2014
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-79512-4
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 380
- Keywords
- Institute for Radium Research, nuclear research in Austria, History of science, National Socialism, The Cold War --- Radiuminstitut, Kernforschung in Österreich, Wissenschaftsgeschichte, Nationalsozialismus, Wissenschaftskooperation, Kalter Krieg
- Categories
- Naturwissenschaften Chemie
- Naturwissenschaften Physik
Table of contents
- 1. Kernforschung in Österreich im Spannungsfeld von internationalerKooperation und Konkurrenz 9
- 2. Österreich-Ungarn und die internationale Radioaktivitätsforschung, 1899–1918 30
- 3. Von der Radioaktivitäts- zur Atomzertrümmerungsforschung, 1919–1932 93
- 3.1 Die Naturwissenschaften in Österreich nach 1918 94
- 3.2 Das regionale Netzwerk festigt sich 97
- 3.3 Das Zentrum (re-)formiert sich 109
- 3.4 Das Zentrum in Aktion : Atomzertrümmerungsforschung als internationales Projekt 140
- 3.5 Die Anfänge der Atomzertrümmerungsforschung als Geschäft der Reichen 176
- 4. Kernforschung in Österreich, 1932–1938 178
- 4.1 Das Zentrum behauptet sich 179
- 4.1.1 Neue Standards für die Internationale Radiumstandard- Kommission 179
- 4.1.2 Neue Mitglieder für die Internationale Radiumstandard- Kommission 182
- 4.1.3 Der Ruf nach höchsten Spannungen in der internationalen Kernphysik 185
- 4.1.4 Die Wiener Reaktionen 190
- 4.1.5 Das Polonium-Netzwerk im Dienst der Neutronenforschung 193
- 4.1.6 Höhenstrahlungsforschung zwischen Peripherie und Zentrum 200
- 4.2 Das Zentrum verliert den Anschluss 206
- 4.3 Kernforschung in Österreich als nationales Projekt 226
- 4.4 Wüstentrockenheit auf dem Gebiet der Atomzertrümmerung 234
- 4.1 Das Zentrum behauptet sich 179
- 5. Kernforschung im Kontext des »Dritten Reiches«, 1938–1945 236
- 6. Kernforschung für die Alliierten – ein Epilog 307
- 7. Schluss 322
- 8. Anhang 334
- Abkürzungsverzeichnis 334
- Verzeichnis der benutzten Archivbestände 336
- Literaturverzeichnis 340
- Personenregister 369