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Die Gefährdung des Zentrums 83
Für die zukünftige Zusammenarbeit mit dem Kriegsgegner sah er schwarz : «[I]t seems
to me that whatever may be the result of the war, all social and scientific intercourse
with Germany will be practically stopped for this generation.«253 Im allgegenwärtigen
Klima der politischen Aversion und persönlichen Entfremdung, das die internationale
Radioaktivistengemeinschaft beherrschte, gab es jedoch vereinzelte Gegenstimmen.
Der niederländische Physiker Heike Kamerlingh Onnes unternahm 1915 einen Ver-
such, den abgesagten III. Kongress für Radioaktivität und Elektronik in ein neutrales
Land zu verlegen, doch seine Initiative scheiterte.254 Die Nomenklaturfrage blieb daher
auf internationaler Ebene ungeklärt.
Auch im deutschsprachigen Raum führten neue Erkenntnisse über die Isotopie
und die Verzweigungsverhältnisse in den Zerfallsreihen dazu, dass unterschiedliche
Nomenklaturen nebeneinander fortbestanden. In einer Atmosphäre der internationa-
len Isolation und patriotisch begrüßter deutsch-österreichischer Waffenbrüderschaft
ergriffen Meyer und Schweidler die Initiative, um wenigstens im deutschen Sprach-
raum eine Vereinheitlichung der radioaktiven Bezeichnungen herbeizuführen. Die
beiden in Standardisierungsfragen von jeher besonders aktiven österreichischen Phy-
siker traten zunächst mit einer Publikation hervor, an der sie schon vor dem Krieg
gearbeitet hatten.255 Die 1916 beim Teubner Verlag in Leipzig publizierte Überblicks-
darstellung mit dem Titel »Radioaktivität« wertete einen Großteil der bis dahin er-
schienenen internationalen Literatur aus und avancierte binnen kürzester Zeit zu ei-
nem gefragten Standardwerk.256 Viele deutschsprachige Radioaktivisten verwendeten
daraufhin freiwillig die Bezeichnungen, die Meyer und Schweidler in ihrem Buch
vorgeschlagen hatten. Doch es fehlte weiterhin eine Regelung, die für alle verbindlich
war.
Der Karlsruher Radiochemiker Kasimir Fajans schlug 1917 vor, dass demjenigen
das Recht zukommen solle, ein neues Element oder Zerfallsprodukt zu benennen, der
es entdeckt hatte. In Reaktion auf Fajans’ Vorstoß starteten Meyer und Schweidler eine
Umfrage unter österreichischen und deutschen Radioaktivisten und Radioaktivistin-
nen, in der sie die in ihrem Buch verwendete Nomenklatur (der C-Verzweigungspro-
dukte) als allgemeingültige Referenz vorschlugen.257 Die Mehrzahl der Befragten
nahm den Vorstoß positiv auf.258 Meyer und Schweidler veröffentlichten ihre Nomen-
253 KVA, ASA, Serie E1, Bl. 22 : Rutherford an Arrhenius vom 1.6.1915.
254 Vgl. AÖAW, FE-Akten, IR, NL Meyer, K 14, Fiche 230 : Kamerlingh Onnes an Meyer vom 12.7.1915.
255 Vgl. AÖAW, FE-Akten, IR, NL Meyer, K 19, Fiche 303 : Schweidler an Meyer vom 5.6.1911.
256 Vgl. Fajans 1917, 250–257.
257 Vgl. CAC, MTNR 5/12/3, Bl. 31–32 : Meyer an Meitner vom 23.10.1917.
258 Vgl. CAC, MTNR 5/12/3, Bl. 37 : Meyer an Meitner vom 28.11.1917 ; AÖAW, FE-Akten, IR, NL
Meyer, K 12, Fiche 185 : Fajans an Meyer vom 17.11.1917 ; ebd., K 16, Fiche 251 : Lenard an Meyer
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Kerne, Kooperation und Konkurrenz
Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
- Title
- Kerne, Kooperation und Konkurrenz
- Subtitle
- Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
- Author
- Silke Fengler
- Editor
- Carola Sachse
- Mitchell G. Ash
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2014
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-79512-4
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 380
- Keywords
- Institute for Radium Research, nuclear research in Austria, History of science, National Socialism, The Cold War --- Radiuminstitut, Kernforschung in Österreich, Wissenschaftsgeschichte, Nationalsozialismus, Wissenschaftskooperation, Kalter Krieg
- Categories
- Naturwissenschaften Chemie
- Naturwissenschaften Physik
Table of contents
- 1. Kernforschung in Österreich im Spannungsfeld von internationalerKooperation und Konkurrenz 9
- 2. Österreich-Ungarn und die internationale Radioaktivitätsforschung, 1899–1918 30
- 3. Von der Radioaktivitäts- zur Atomzertrümmerungsforschung, 1919–1932 93
- 3.1 Die Naturwissenschaften in Österreich nach 1918 94
- 3.2 Das regionale Netzwerk festigt sich 97
- 3.3 Das Zentrum (re-)formiert sich 109
- 3.4 Das Zentrum in Aktion : Atomzertrümmerungsforschung als internationales Projekt 140
- 3.5 Die Anfänge der Atomzertrümmerungsforschung als Geschäft der Reichen 176
- 4. Kernforschung in Österreich, 1932–1938 178
- 4.1 Das Zentrum behauptet sich 179
- 4.1.1 Neue Standards für die Internationale Radiumstandard- Kommission 179
- 4.1.2 Neue Mitglieder für die Internationale Radiumstandard- Kommission 182
- 4.1.3 Der Ruf nach höchsten Spannungen in der internationalen Kernphysik 185
- 4.1.4 Die Wiener Reaktionen 190
- 4.1.5 Das Polonium-Netzwerk im Dienst der Neutronenforschung 193
- 4.1.6 Höhenstrahlungsforschung zwischen Peripherie und Zentrum 200
- 4.2 Das Zentrum verliert den Anschluss 206
- 4.3 Kernforschung in Österreich als nationales Projekt 226
- 4.4 Wüstentrockenheit auf dem Gebiet der Atomzertrümmerung 234
- 4.1 Das Zentrum behauptet sich 179
- 5. Kernforschung im Kontext des »Dritten Reiches«, 1938–1945 236
- 6. Kernforschung für die Alliierten – ein Epilog 307
- 7. Schluss 322
- 8. Anhang 334
- Abkürzungsverzeichnis 334
- Verzeichnis der benutzten Archivbestände 336
- Literaturverzeichnis 340
- Personenregister 369