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Das regionale Netzwerk festigt sich 101
»das II. phys[ikalische]. Inst[itut]. bisher die Stelle [war], wo die wissenschaftlichen Arbeiten
der Anfänger ausgeführt wurden und in dieser Beziehung fürchte ich einen grösseren Rück-
schritt als die äusseren Schwierigkeiten für sich allein bedingen. Freilich stammten die wis-
senschaftlichen Ideen zu den Anfängerarbeiten
– wenigstens die besseren
– bisher auch nicht
vom Institutsleiter ; aber wenn [Erwin] Schrödinger wegkommt und im Laufe der Zeit dann
auch [Fritz] Kohlrausch, so bleibt nach meiner subjektiven Ansicht wenig Aussicht auf Ent-
stehen halbwegs brauchbarer Arbeiten. Das Ra[dium]-Inst[itut]. ist ja erstens ein Spezialin-
stitut u[nd]. zweitens von Anfängern soviel als irgend möglich zu entlasten ; denn seine unter
den heutigen Verhältnissen beschränkten Mittel sollten den reifen und selbstständigen
wissensch[aftlichen]. Arbeiten zugute kommen. Aus diesen Gründen würde ich doch lieber
M[ach]e an Väterchens [Franz Serafin Exner, S. F.] Stelle sehen.«32
Die Argumente der Wiener Physiker fanden im Staatsamt kaum Widerhall, denn Ehren-
haft verfügte dort über mächtige Anhänger. Der amtierende sozialdemokratische Unter-
richtsminister Otto Glöckel hatte seit seinem Amtsantritt 1919 aktiv gegen antisemitische
und ausländerfeindliche Maßnahmen der Universität Wien interveniert.33 Es bleibt un-
klar, ob die antisemitischen Anfeindungen Ehrenhafts, sein »rastlos tätiger Forschungsei-
fer« oder der Umstand, dass er der »einzige Sozialist der Fakultät« war, den Ausschlag
gaben, dass Glöckel ihn förderte.34 Jedenfalls versprach der Unterrichtsminister, »im ei-
genen Wirkungskreis die nötigen Verfügungen [im Sinne Ehrenhafts zu] treffen«.35
Auch die selbsternannten Wortführer der Wiener Chemiker, Mathematiker und
Pharmazeuten, Richard Wegscheider und Josef Herzig, unterstützten Ehrenhafts For-
derung nach einem eigenen Institut mit angemessener apparativer Ausstattung.36 Die
32 AÖAW, FE-Akten, IR, NL Meyer, K 19, Fiche 306 : Schweidler an Meyer vom 28.2.1920.
33 Die im März 1919 vereidigte Koalitionsregierung aus Sozialdemokraten und Christlichsozialen einigte
sich auf die Verringerung der Staatsämter. Daraufhin wurden die Staatsämter für Unterricht und In-
neres zusammengelegt. Karl Renner übernahm die provisorische Leitung, Otto Glöckel blieb Unter-
staatssekretär und wurde mit der Leitung des Unterrichtsamtes betraut. De facto übernahm er damit die
Kompetenzen des bisherigen Staatsamtes für Unterricht. Vgl. Buchegger 1981, 72. Eine zeithistorische
Einordnung von Glöckels reformpolitischen Aktivitäten (ohne Bezüge zu dessen hochschulpolitischen
Aktionen) bietet Eckert 2007, 56–83.
34 The Rockefeller Archive Center Sleepy Hollow, N.Y., Rockefeller Foundation, ab sofort : RAC, RF, RG
1.1, Series 705D, Box 3, Folder 25 : H.M.M., Memo on Vienna, Hans Pettersson, past fellow vom
27.6.1934.
35 ÖStA, AVA, Ministerium für Kultus und Unterricht 1848–1940, F 640/4/19906, Bl. 4–7 : Antrag des
mit der Leitung des Unterrichtsamtes betrauten Unterstaatssekretärs, Ernennung zweier Universitätspro-
fessoren vom 29.9.1920. Siehe auch CUL, RC, Add 7653, M 191 : Meyer an Rutherford vom 8.2.1920.
Vgl. zu Glöckels Engagement für Ehrenhaft Braunbeck 2003, 37–38.
36 Vgl. ÖStA, AVA, Ministerium für Kultus und Unterricht 1848–1940, F 640/4/5770 (1920), Bl. 77 :
Stellungnahme vom 19.3.1920 ; ebd., Bl. 98–112 : Separatvotum Rudolf Wegscheiders.
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Kerne, Kooperation und Konkurrenz
Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
- Title
- Kerne, Kooperation und Konkurrenz
- Subtitle
- Kernforschung in Österreich im internationalen Kontext (1900–1950)
- Author
- Silke Fengler
- Editor
- Carola Sachse
- Mitchell G. Ash
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2014
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-205-79512-4
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 380
- Keywords
- Institute for Radium Research, nuclear research in Austria, History of science, National Socialism, The Cold War --- Radiuminstitut, Kernforschung in Österreich, Wissenschaftsgeschichte, Nationalsozialismus, Wissenschaftskooperation, Kalter Krieg
- Categories
- Naturwissenschaften Chemie
- Naturwissenschaften Physik
Table of contents
- 1. Kernforschung in Österreich im Spannungsfeld von internationalerKooperation und Konkurrenz 9
- 2. Österreich-Ungarn und die internationale Radioaktivitätsforschung, 1899–1918 30
- 3. Von der Radioaktivitäts- zur Atomzertrümmerungsforschung, 1919–1932 93
- 3.1 Die Naturwissenschaften in Österreich nach 1918 94
- 3.2 Das regionale Netzwerk festigt sich 97
- 3.3 Das Zentrum (re-)formiert sich 109
- 3.4 Das Zentrum in Aktion : Atomzertrümmerungsforschung als internationales Projekt 140
- 3.5 Die Anfänge der Atomzertrümmerungsforschung als Geschäft der Reichen 176
- 4. Kernforschung in Österreich, 1932–1938 178
- 4.1 Das Zentrum behauptet sich 179
- 4.1.1 Neue Standards für die Internationale Radiumstandard- Kommission 179
- 4.1.2 Neue Mitglieder für die Internationale Radiumstandard- Kommission 182
- 4.1.3 Der Ruf nach höchsten Spannungen in der internationalen Kernphysik 185
- 4.1.4 Die Wiener Reaktionen 190
- 4.1.5 Das Polonium-Netzwerk im Dienst der Neutronenforschung 193
- 4.1.6 Höhenstrahlungsforschung zwischen Peripherie und Zentrum 200
- 4.2 Das Zentrum verliert den Anschluss 206
- 4.3 Kernforschung in Österreich als nationales Projekt 226
- 4.4 Wüstentrockenheit auf dem Gebiet der Atomzertrümmerung 234
- 4.1 Das Zentrum behauptet sich 179
- 5. Kernforschung im Kontext des »Dritten Reiches«, 1938–1945 236
- 6. Kernforschung für die Alliierten – ein Epilog 307
- 7. Schluss 322
- 8. Anhang 334
- Abkürzungsverzeichnis 334
- Verzeichnis der benutzten Archivbestände 336
- Literaturverzeichnis 340
- Personenregister 369