Page - 30 - in Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
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Neben seiner Arbeit bei Zsolnay, die in der Nachkriegszeit vor allem auch
seine Familie ernähren sollte, begann Kraus als Literaturkritiker und Feuilleto-
nist zu wirken. Zwischen 1956 und 1961 war Kraus dann ausschließlich als Lite-
raturkritiker und freier (Kultur-)Korrespondent aktiv und konnte sich regiona-
le und transregionale Verbindungen aufbauen, die auch die Bundesrepublik
Deutschland und die Schweiz umfassten, wo er seine Feuilletons, Artikel und
Buchbesprechungen absetzen konnte. Er schrieb u. a. für die „Wiener Wochen-
ausgabe“, „Neues Österreich“, „Die Presse“, „Die Furche“ und „Wiener Zeitung“,
regionale Tageszeitungen in der BRD, u. a. für die „Stuttgarter Zeitung“, den
„Generalanzeiger Bonn“, die „Mainz-Post“, das „St.
Galler Tagblatt“, das „Darm-
städter Echo“, den „Wiesbadner Kurier“, die „Saarbrücker Zeitung“, die „Fuldaer
Volkszeitung“, und die „Hannoversche Allgemeine“, sowie in der Schweiz, z. B.
für die „Luzerner Neuesten Nachrichten“ oder den Züricher „Tages-Anzeiger“.
Wie er selbst über seine kulturpublizistische Tätigkeit gegenüber dem russi-
schen Literaturwissenschaftler Efim Etkind bemerkt hat, war dieser Karrierep-
fad keineswegs einfach:
Im Markt habe ich mich durchsetzen müssen, und da kenne ich mich aus. […]
Durch die Möglichkeiten von Verlagen (sehr viele verschiedene), Radio, TV, Zei-
tungen, Zeitschriften findet man immer eine Möglichkeit, allerdings muß man
sehr aktiv sein, sich viele Informationen verschaffen und auch ziemlich viele Men-
schen kennen. […] So lebte ich vom freien Markt, wobei die vom Staat subventi-
onierte Literaturgesellschaft, mit der ich bis heute keinen Vertrag habe, nur ein
Element meiner Existenz und meiner Einkünfte war.80
Rückblickend urteilt er sehr hart über diese Art des „Broterwerbs“ und äußert,
er sei „anfangs jung mit Zynismus“ sowie unter „reichlicher Verwendung von
Feuilletonkitsch“ daran interessiert gewesen, sich „eine gute Existenz, Wohnung
kleines Auto, Sommermietwohnung etc.“81 aufzubauen.
Ab der zweiten Hälfte der 1950er Jahre unternahm er in Eigeninitiative zahl-
reiche Reisen in die Länder des realen Sozialismus hinter dem „Eisernen Vor-
hang“, um über das dort vorherrschende kulturelle und literarische Leben zu
berichten. Diese Reisen führten ihn nach Ungarn, Polen, Rumänien und Russ-
land, wo er Kontakte zu Intellektuellen-Kreisen in u. a. Moskau, St. Petersburg
und Leningrad knüpfte. 1968 hielt er sich mit einem Stipendium der Ford Foun-
dation in Amerika auf, wo er zahlreiche Universitäten besuchte und die dort
lehrenden Germanisten aufsuchte, die nach dem „Anschluss“ 1938 emigriert
waren.
80 Wolfgang Kraus an Efim Etkind, 2. März 1993, NL WK.
81 Wolfgang Kraus: Tagebuch, 8. Juni 1981, NL WK.
Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
30 Einleitung
Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Title
- Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Author
- Stefan Maurer
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23312-1
- Size
- 15.8 x 24.0 cm
- Pages
- 452
- Category
- Kunst und Kultur
Table of contents
- 1. EINLEITUNG: WOLFGANG KRAUS, EIN „KANTENLOSER HOMME DE LETTRES“? 9
- 2. DER ÖSTERREICHISCHE LITERATURBETRIEB NACH 1945 43
- 3. DIE ÖSTERREICHISCHE GESELLSCHAFT FÜR LITERATUR (1961–1975) 81
- 3.1 Gründung und Anfänge der Österreichischen Gesellschaft für Literatur 83
- 3.2 Einladungs- und Veranstaltungspolitik der ÖGL 98
- 3.3 Die ÖGL und das Konzept einer österreichischen Literatur 124
- 3.4 Die ÖGL und „Wort in der Zeit“ 142
- 3.5 Eine „Heimatadresse“? Die ÖGL und die Exilliteratur 155
- 3.6 Forum der Jugend 180
- 3.7 Bemühungen um die Literatur der östlichen Nachbarn 183
- 3.8 Resümee 190
- 4. „DAS MANAGEMENT REISST NICHT AB“. WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE LITERATUR 193
- 5. KONTAKTPERSON, VERMITTLER, DOLMETSCHER: WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE KULTURPOLITIK 297
- 6. WOLFGANG KRAUS’ NETZWERKE IM KULTURELLEN KALTEN KRIEG 355
- 7. RESÜMEE 399
- 8. LITERATURVERZEICHNIS 403
- 9. PERSONENREGISTER 437