Page - 34 - in Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
Image of the Page - 34 -
Text of the Page - 34 -
im März 1967 präsentierten „Gedanken zur Rundfunkreform“, in denen er sich
auch zur Rolle des ORF als „Ost-West-Drehscheibe“ äußerte,95 ganz auf Kraus’
(kulturpolitischer) Wellenlänge gelegen sein. Kraus hat auch an der Festschrift
für Bacher mitgewirkt und einen Essay über „Die kulturellen Wirkungen realen
Handelns verfasst“.96 Mit der Pensionierung Bachers und dem neuen ORF-In-
tendanten Gerhard Zeiler verlor Kraus seine Position in den 1990er Jahren. Dem
neuen Intendanten wirft Kraus vor, er wisse nicht, „was Kultur ist, und selbst
wenn er sich aus opportunen Gründen“ bemühe, „kommt eine groteske Verzer-
rung heraus“.97
In den „Jour fixe“-Diskussionen, die sechs- bis achtmal im Jahr ausgestrahlt
wurden, führte Kraus mit renommierten Persönlichkeiten der Literatur, Philo-
sophie und Politik Gespräche, womit er quasi die Tätigkeit der ÖGL auf das
öffentlich-rechtliche Fernsehen ausdehnte, wenn er festhält, dass er mit diesen
Sendungen eine „früher in Wien und Österreich traditionelle Einrichtung, einen
Salon als Treffpunkt der Literaten, Künstler und Kritiker für die Fernseher zu
neuem Leben auf dem Bildschirm“98 erwecken wollte. In den Jahren 1979 bis
1981 moderierte er darüber hinaus die TV-Sendung „Welt des Buches“ im ORF.
1971 wurde Kraus durch den Gewerkschafter Erich Pogats als „literarischer Kon-
sulent“ in den Europa-Verlag geholt, wo er ein „neues Programm in mehreren
Sparten aufbaute“99 und dieses „zum letzten Mal in die Höhe“100 brachte. Die
Übernahme dieses neuen Postens dürfte neben seinen avancierten literarischen
Verbindungen im In- und Ausland auch daran gelegen haben, dass Kraus die
richtigen Kontakte hinsichtlich der Distribution besaß, denn „1971, zur Zeit sei-
nes Eintritts in den Europaverlag, verfügte er bereits über ein feinmaschiges Netz
von Kontaktpersonen in den Redaktionen, in die er seine Feuilletons“ verkauf-
te und seine „Kundenkartei faßte in den besten Tagen 35 Kärtchen“.101
Er setzte sich für die Publikation von Manès Sperbers Romantrilogie Wie eine
Träne im Ozean und dessen Autobiographie All das Vergangene oder eine sechs-
95 Vgl. Berthold Molden: „Die Ost-West-Drehscheibe“. Österreichs Medien im Kalten Krieg. In:
Manfried Rauchensteiner (Hg.): Zwischen den Blöcken. NATO, Warschauer Pakt und Öster-
reich. Wien, Köln, Weimar: Böhlau 2010 (= Schriftenreihe des Forschungsinstitutes für Poli-
tisch-Historische Studien der Dr.-Wilfried-Haslauer-Bibliothek, Salzburg 36), S. 687–774, hier
S. 720.
96 Vgl. Wolfgang Kraus: Die kulturellen Wirkungen realen Handelns. In: Österreichischer Rund-
funk (Hg.): Gerd Bacher zu Ehren. Zum 60. Geburtstag. Salzburg, Wien: Residenz 1985, S.
117–
126.
97 Wolfgang Kraus an Reiner Kunze, 9. August 1995, NL WK.
98 N. N.: Ein Kultursalon. In: Arbeiter-Zeitung, 10. September 1967, S. 7.
99 Wolfgang Kraus an Manès Sperber, 25. Mai 1971, NL WK.
100 Hans Haider: Schade um den Europa Verlag! In: Die Presse, 17. Oktober 1992.
101 N. N.: Arabesken des Lebens. In: Profil, 25. Jänner 1977, S. 54.
Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
34 Einleitung
Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Title
- Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Author
- Stefan Maurer
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23312-1
- Size
- 15.8 x 24.0 cm
- Pages
- 452
- Category
- Kunst und Kultur
Table of contents
- 1. EINLEITUNG: WOLFGANG KRAUS, EIN „KANTENLOSER HOMME DE LETTRES“? 9
- 2. DER ÖSTERREICHISCHE LITERATURBETRIEB NACH 1945 43
- 3. DIE ÖSTERREICHISCHE GESELLSCHAFT FÜR LITERATUR (1961–1975) 81
- 3.1 Gründung und Anfänge der Österreichischen Gesellschaft für Literatur 83
- 3.2 Einladungs- und Veranstaltungspolitik der ÖGL 98
- 3.3 Die ÖGL und das Konzept einer österreichischen Literatur 124
- 3.4 Die ÖGL und „Wort in der Zeit“ 142
- 3.5 Eine „Heimatadresse“? Die ÖGL und die Exilliteratur 155
- 3.6 Forum der Jugend 180
- 3.7 Bemühungen um die Literatur der östlichen Nachbarn 183
- 3.8 Resümee 190
- 4. „DAS MANAGEMENT REISST NICHT AB“. WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE LITERATUR 193
- 5. KONTAKTPERSON, VERMITTLER, DOLMETSCHER: WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE KULTURPOLITIK 297
- 6. WOLFGANG KRAUS’ NETZWERKE IM KULTURELLEN KALTEN KRIEG 355
- 7. RESÜMEE 399
- 8. LITERATURVERZEICHNIS 403
- 9. PERSONENREGISTER 437