Page - 35 - in Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
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bändige Werkausgabe seines im Jahr 1970 verstorbenen Freundes Herbert Zand
ein. Kraus war dem Europa-Verlag gut gesonnen, wollte dieser doch „keine Best-
sellerfabrik wie Molden [sein], sondern, auf die sehr aktive Druckerei der Gewerk-
schaft gestützt, eine wirklich kulturelle Bastion errichten“.102
In der Folge wurden im literarischen Programm des Verlags sowohl Werke
von internationalen Autoren wie François Bondy und Raymond Aron, aber auch
österreichische Autorinnen und Autoren verlegt, die heute größtenteils als ver-
gessen gelten können, wie z. B. Peter Daniel Wolfkind, Kurt Benesch, Diana
Canetti, Matthias Mander oder auch Ernst Hinterberger (vgl. Kapitel 4.2.2). Das
Arbeitsverhältnis mit dem Europa-Verlag endete nach drei Jahren, wobei ver-
mutlich politische Faktoren entscheidend waren. Kraus beschwerte sich ob sei-
ner Entlassung: „Das Erstaunliche dabei ist die Abwesenheit von Begründungen
des Haltungswechsels. Vielleicht eine Gewohnheit für Leute, deren Parteilinie
wechselt.“103
Nach knapp 20 Jahren freier literarischer Tätigkeit seit 1956, als er den Zsol-
nay-Verlag verließ, fand Kraus wieder eine fixe Anstellung, mit der für ihn jedoch
ein „merkwürdiges, eher beengendes Gefühl“104 einherging. Mit seiner Berufung
ins Außenministerium durch Erich Bielka-Karltreu, erhielt Kraus eine weitere
wichtige Position am Schnittpunkt zwischen Literatur- und Kulturpolitik, die
ihn jedoch zunehmend ins Kreuzfeuer der Kritik brachte.
Kraus baute eine von der kulturpolitischen Sektion unabhängige „Kulturkon-
taktstelle“ auf und war mit den literarischen Agenden der österreichischen Kul-
turinstitute im Ausland betraut. Diese Position, die er bis 1981 innehatte, erhob
Kraus nicht nur in den Status eines, – mit den Einladungen der ÖGL an Schrift-
stellerinnen und Schriftstellern im Ausland oder im Exil –, Importeurs, sondern
machte ihn auch zum Exporteur österreichischer Literatur. In dieser Stellung
wurde Kraus auch die Nähe seiner Arbeit zu „diplomatischen Usancen“ bewusst,
dass „auch Mittagessen, Kontaktpflege, Kaffeetrinken, Telefonate vollwertige
Arbeit sind. Das Netz an Verbindungen ist Kapital, ein Instrument. […] Das
alles hat mit Freundschaften und ‚guten Gesprächen‘ nichts zu tun. ‚Kontaktar-
beit‘ und dazu notwendige Konzepte.“105
Der Schriftsteller, Journalist und Übersetzer Peter Marginter, dessen Werk
von Kraus gefördert wurde und der 1988/1989 Abteilungsleiter im Bundesmi-
nisterium für auswärtige Angelegenheiten und anschließend bis 1995 Leiter des
österreichischen Kulturinstituts in London war, bezeichnet Kraus als einen
102 Wolfgang Kraus an Manès Sperber, 20. April 1971, NL WK.
103 Ders.: Tagebuch, 15. März 1975, NL WK.
104 Ebd., 30. Juli 1975, NL WK.
105 Ebd., 12. Mai 1975, NL WK.
Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
Biographische Einführung 35
Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Title
- Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Author
- Stefan Maurer
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23312-1
- Size
- 15.8 x 24.0 cm
- Pages
- 452
- Category
- Kunst und Kultur
Table of contents
- 1. EINLEITUNG: WOLFGANG KRAUS, EIN „KANTENLOSER HOMME DE LETTRES“? 9
- 2. DER ÖSTERREICHISCHE LITERATURBETRIEB NACH 1945 43
- 3. DIE ÖSTERREICHISCHE GESELLSCHAFT FÜR LITERATUR (1961–1975) 81
- 3.1 Gründung und Anfänge der Österreichischen Gesellschaft für Literatur 83
- 3.2 Einladungs- und Veranstaltungspolitik der ÖGL 98
- 3.3 Die ÖGL und das Konzept einer österreichischen Literatur 124
- 3.4 Die ÖGL und „Wort in der Zeit“ 142
- 3.5 Eine „Heimatadresse“? Die ÖGL und die Exilliteratur 155
- 3.6 Forum der Jugend 180
- 3.7 Bemühungen um die Literatur der östlichen Nachbarn 183
- 3.8 Resümee 190
- 4. „DAS MANAGEMENT REISST NICHT AB“. WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE LITERATUR 193
- 5. KONTAKTPERSON, VERMITTLER, DOLMETSCHER: WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE KULTURPOLITIK 297
- 6. WOLFGANG KRAUS’ NETZWERKE IM KULTURELLEN KALTEN KRIEG 355
- 7. RESÜMEE 399
- 8. LITERATURVERZEICHNIS 403
- 9. PERSONENREGISTER 437