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als „Opfer“ zu präsentieren und den Anteil an den Verbrechen des „Dritten Rei-
ches“ so gering wie möglich erscheinen zu lassen, brachten es mit sich, dass das
Interesse an „Vergangenheitsbewältigung“23 gering blieb. Entgegen kam der
„einseitigen, verfälschenden, in diesem Sinn unwahren Sicht der historischen
Realität“,24 die Moskauer Deklaration von 1943, in der Österreich zwar als Opfer
des nationalsozialistischen Deutschland erkannt, die ebenfalls darin enthaltene
„Mitverantwortungsthese“ dagegen ignoriert wurde. So stellte der Staatsvertrag
1955 die „Magna Charta“ der Zweiten Republik dar, welche die volle Souverä-
nität Österreichs gewährleistete und die immerwährende Neutralität erklärte.25
Die (Re-)Präsentation Österreichs erfolgte einerseits nach innen zur Stärkung
der österreichischen Identität, anderseits nach außen „mit dem Ziel der Wie-
dereinordnung Österreichs in die internationale Staatengemeinschaft“.26
Die kulturpolitischen Prämissen der Regierenden, die sich aus den neuen
Bedingungen nach 1945 ergaben, wirkten direkt auf den Kulturbetrieb ein. So
befanden sich der Rundfunk und das Fernsehen in der Hand des Staates und
begründeten ein Monopol, die großen Bühnen gehörten dem Bund oder den
Länder.27 Ebenso befanden sich die großen Verlage in staatlicher bzw. in der
Hand öffentlicher Körperschaften oder der katholischen Kirche.
Noch bis Mitte der 1950er Jahre war der Zeitungsmarkt von der Parteipresse
beherrscht, bevor es zu den sogenannten Zeitungskriegen kam. Die „Hochkul-
tur“ wurde mittels Förderung durch Subventionen und Preise in Abhängigkeit
gehalten, der linke Schriftsteller Heinz Rudolf Unger spricht von der „Verbeam-
tung des Kulturbetriebs“ und Franz Schuh, späterer Generalsekretär der Grazer
Autorinnen Autorenversammlung, konstatiert ein „anarchistisches Staatsstipen-
diatentum“.28 Bis Ende der 1960er Jahre waren die „Staatskunst“ sowie die „Staat-
künstler“ permanent mit katholisch-konservativen Rahmenbedingungen kon-
23 Vgl. Scheichl: Weder Kahlschlag noch Stunde Null. In: Pestalozzi, Bormann, Koebner (Hg.):
Vier deutsche Literaturen?, S. 41.
24 Anton Pelinka: Von der Funktionalität von Tabus. Zu den „Lebenslügen“ der Zweiten Repub-
lik. In: Wolfgang Kos (Hg.): Inventur 45/55: Österreich im ersten Jahrzehnt der Zweiten Repu-
blik. Wien: Sonderzahl 1996, S. 23–32, hier S. 23.
25 Vgl. Oliver Rathkolb: Die paradoxe Republik. Österreich 1945 bis 2010. Innsbruck: Haymon
2011, S. 203 f.
26 Gernot Heiß: „… dass Österreich wieder zum Kulturträger und Kulturpionier für die gesamte
Menschheit werde.“ Kulturpolitik und kulturelle Entwicklung im Österreich der Nachkriegs-
zeit. In: Karin Moser (Hg.): Besetzte Bilder. Film, Kultur und Propaganda in Österreich 1945–
1955. Wien: verlag filmarchiv austria 2005, S. 37–60, hier S. 37.
27 Vgl. Evelyn Deutsch-Schreiner: Theater im „Wiederaufbau“. Zur Kulturpolitik im österreichi-
schen Parteien- und Verbändestaat. Wien: Sonderzahl 2001.
28 Klaus Zeyringer: Literarische Öffentlichkeit in Österreich. In: Horst Albert Glaser (Hg.): Deut-
sche Literatur zwischen 1945 und 1995: Eine Sozialgeschichte. Bern, Stuttgart, Wien: Haupt
1997 (= UTB 1981), S. 147–160, hier S. 148.
Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
50 Der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Title
- Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Author
- Stefan Maurer
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23312-1
- Size
- 15.8 x 24.0 cm
- Pages
- 452
- Category
- Kunst und Kultur
Table of contents
- 1. EINLEITUNG: WOLFGANG KRAUS, EIN „KANTENLOSER HOMME DE LETTRES“? 9
- 2. DER ÖSTERREICHISCHE LITERATURBETRIEB NACH 1945 43
- 3. DIE ÖSTERREICHISCHE GESELLSCHAFT FÜR LITERATUR (1961–1975) 81
- 3.1 Gründung und Anfänge der Österreichischen Gesellschaft für Literatur 83
- 3.2 Einladungs- und Veranstaltungspolitik der ÖGL 98
- 3.3 Die ÖGL und das Konzept einer österreichischen Literatur 124
- 3.4 Die ÖGL und „Wort in der Zeit“ 142
- 3.5 Eine „Heimatadresse“? Die ÖGL und die Exilliteratur 155
- 3.6 Forum der Jugend 180
- 3.7 Bemühungen um die Literatur der östlichen Nachbarn 183
- 3.8 Resümee 190
- 4. „DAS MANAGEMENT REISST NICHT AB“. WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE LITERATUR 193
- 5. KONTAKTPERSON, VERMITTLER, DOLMETSCHER: WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE KULTURPOLITIK 297
- 6. WOLFGANG KRAUS’ NETZWERKE IM KULTURELLEN KALTEN KRIEG 355
- 7. RESÜMEE 399
- 8. LITERATURVERZEICHNIS 403
- 9. PERSONENREGISTER 437