Page - 53 - in Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
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Die „alte Garde“ musste sich angesichts der vorherrschenden konservativen
Rahmenbedingungen nicht sorgen, passten sie doch perfekt ins antimodernis-
tische Passepartout. Die von konservativ bis postvölkisch rangierenden Kunstrich-
tungen galten als „staatstragender“ als die Modernen oder die Avantgardisten.
Der politische und kulturelle „Grundakkord“ (Schmidt-Dengler) klang in Alexan-
der Lernet-Holenias Diktum in den öffentlichen Diskurs, der in der Zeitschrift
„Der Turm“ verkündete, dass „wir nur dort fortzusetzen [brauchen], wo uns die
Träume eines Irren unterbrochen haben, in der Tat brauchen wir nicht voraus,
sondern nur zurückblicken, […] wir sind, im besten und wertvollsten Verstan-
de, unsere Vergangenheit.“39
Erst in den 1960er Jahren war eine Kritik der politischen und kulturellen Ver-
hältnisse auf Basis eines konsolidierten Staates möglich, denn eine „wesentliche
Voraussetzung für die günstige staats-, wirtschafts- und sozialpolitische Ent-
wicklung Österreichs war seine innere Stabilität, die sich vornehmlich auf zwei
Institutionen gründete: die Große Koalition und die Sozialpartnerschaft.“40
Die Sozialpartnerschaft, der sogenannte „Proporz“, der sich nicht nur in der
Verwaltung, sondern in allen Bereichen des öffentlichen Lebens etablierte, besetz-
te wichtige Posten, darunter auch solche des kulturellen Betriebs, nach Partei-
zugehörigkeit. So erhielt die österreichische Nachkriegsliteratur ein Profil, das
bis in die 1950/60er Jahre zwar kein „apolitisches“ war, wohl „aber ein eher kon-
servatives, systembewahrendes, eben ‚sozialpartnerschaftliches‘“41.
Diese ideologischen und kulturpolitischen Voraussetzungen sind zentrale
Aspekte, unter denen sich ein österreichischer „Literaturbetrieb“ nach 1945
mehr schlecht als recht konstituierte. Wie Robert Menasse zusammengefasst
hat, lässt sich also konstatieren, dass „die Jahre nach 1945 von einem ‚bedeu-
tungslosen Literaturbetrieb‘ (Gerhard Fritsch) oder präziser: vom ‚Fehlen
eines vollorganisierten Literaturbetriebes gekennzeichnet‘ (Paul Kruntorad)“42
sind.
39 Alexander Lernet-Holenia: Gruß des Dichters. In: Der Turm 1 (1945), H. 4/5, S. 109.
40 Dietmar Goltschnigg, Kurt Bartsch: Sozialgeschichtliche Voraussetzungen. Literaturbetrieb.
In: Viktor Žmegač (Hg.): Geschichte der deutschen Literatur vom 18. Jahrhundert bis zur
Gegenwart. Bd. III/2. 2. Aufl. Weinheim: Athenäum 1994, S. 695–710, hier S. 696.
41 Ebd., S. 697.
42 Menasse: Die Entwicklung des österreichischen Literaturbetriebes und seine Strukturierung
im Geiste der Sozialpartnerschaft. In: Ders.: Das war Österreich. Gesammelte Essays zum Land
ohne Eigenschaften. Hg. v. Eva Schörkhuber. Frankfurt/M.: Suhrkamp 2005, S. 138–171, hier
S. 141.
Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
Entwicklung(en) des Literaturbetriebs nach 1945 53
Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Title
- Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Author
- Stefan Maurer
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23312-1
- Size
- 15.8 x 24.0 cm
- Pages
- 452
- Category
- Kunst und Kultur
Table of contents
- 1. EINLEITUNG: WOLFGANG KRAUS, EIN „KANTENLOSER HOMME DE LETTRES“? 9
- 2. DER ÖSTERREICHISCHE LITERATURBETRIEB NACH 1945 43
- 3. DIE ÖSTERREICHISCHE GESELLSCHAFT FÜR LITERATUR (1961–1975) 81
- 3.1 Gründung und Anfänge der Österreichischen Gesellschaft für Literatur 83
- 3.2 Einladungs- und Veranstaltungspolitik der ÖGL 98
- 3.3 Die ÖGL und das Konzept einer österreichischen Literatur 124
- 3.4 Die ÖGL und „Wort in der Zeit“ 142
- 3.5 Eine „Heimatadresse“? Die ÖGL und die Exilliteratur 155
- 3.6 Forum der Jugend 180
- 3.7 Bemühungen um die Literatur der östlichen Nachbarn 183
- 3.8 Resümee 190
- 4. „DAS MANAGEMENT REISST NICHT AB“. WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE LITERATUR 193
- 5. KONTAKTPERSON, VERMITTLER, DOLMETSCHER: WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE KULTURPOLITIK 297
- 6. WOLFGANG KRAUS’ NETZWERKE IM KULTURELLEN KALTEN KRIEG 355
- 7. RESÜMEE 399
- 8. LITERATURVERZEICHNIS 403
- 9. PERSONENREGISTER 437