Page - 55 - in Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
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„Renazifizierung des Verlagswesens“, da der neue österreichische Staat, der sich
dem „Grundkonsens aller Parteien verpflichtet hatte, alle Spuren des Faschismus
zu beseitigen“,45 zu wenig unternehme.
Ein wichtiger Proponent des VdSJÖ war der Schriftsteller Rudolf Henz, in der
Zweiten Republik als übermächtiger Kulturfunktionär präsent, u. a. als Gründer
der „Katholischen Aktion“, Programmdirektor des ORF und jahrzehntelanges
Mitglied des „Österreichischen Kunstsenats“. Er verkörperte die Kontinuität mit
dem Ständestaat bis weit in die 1980er Jahre.46 Henz, der die „Kulturkämpfe“
der Ersten Republik miterlebt hatte, schrieb 1934 den austrofaschistischen Kon-
terpart zum nationalsozialistischen „Horst-Wessel-Lied“, das sogenannte Doll-
fuß-Lied, bekannte sich zum Katholizismus und sprach sich dafür aus, dass die
Kirche nach 1945 „nicht mehr im Vorfeld oder unter der Patronanz einer Partei
arbeiten durfte“, jedoch trat er stets für einen Dialog zwischen „Klerikern und
Führern einer Partei“47 ein.
Hinsichtlich einer Organisation des „Literaturbetriebs“ und der Situation der
österreichischen Schriftstellerinnen und Schriftsteller merkte Rollett, der ab
1948 als Vizepräsident des österreichischen P.E.N.-Club fungierte, in einer auf
der ordentlichen Generalversammlung 1948 des VdSJÖ gehaltenen Rede am
1. Dezember 1948 an:
Wir sind vom Publikum abhängig. […] [P]rimär insoferne, als die Frage des geis-
tigen Echos aus seinem Kreise, die Frage der verwandten Wertemaßstäbe für die
immerwährende gegenseitige Befruchtung und Anregung nicht nur zwischen Künst-
ler und Publikum, sondern auch umgekehrt zwischen Publikum und Künstler von
ausschlaggebender Wichtigkeit ist; sekundär, weil das Publikum als wirtschaftli-
cher Faktor Leben und Tätigkeit der Dichter und Schriftsteller im weitesten Maße
äußerlich und materiell erst ermöglicht […].48
Rollett kritisiert im Verlauf der Rede auch die österreichischen Medien, da die
Schreibenden und deren literarische Beiträge in den Zeitungen nur „Lückenbü-
ßer“ seien, darüber hinaus sei die Honorierung der Werke „eine glatte Schande“.49
45 Milo Dor, Reinhard Federmann: NS-Parnass in Österreich. Eine kritische Betrachtung von
Milo Dor und Reinhard Federmann, Manuskript einer Rundfunksendung, Hessischer Rund-
funk, Frankfurt/M., Jänner 1952. Zit. n. Hans Peter Fritz: Buchstadt und Buchkrise. Verlags-
wesen und Literatur in Österreich 1945–1955. Univ.-Diss. Wien 1989, S. 32.
46 Vgl. Karl Müller: Zäsuren ohne Folgen. Das lange Leben der literarischen Antimoderne Öster-
reichs seit den 30er Jahren. Salzburg: Otto Müller 1990, S. 228 f.
47 Rudolf Henz: Fügung und Widerstand. Graz, Wien: Stiasny 1963, S. 355 f.
48 Edwin Rollett: Die schöne Literatur und ihre Widersacher von heute. Denkschrift des Verbandes
demokratischer Schriftsteller und Journalisten Österreichs. Wien: Wiener Verlag 1949, S. 6.
49 Ebd., S. 12 u. S. 6.
Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
Entwicklung(en) des Literaturbetriebs nach 1945 55
Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Title
- Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Author
- Stefan Maurer
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23312-1
- Size
- 15.8 x 24.0 cm
- Pages
- 452
- Category
- Kunst und Kultur
Table of contents
- 1. EINLEITUNG: WOLFGANG KRAUS, EIN „KANTENLOSER HOMME DE LETTRES“? 9
- 2. DER ÖSTERREICHISCHE LITERATURBETRIEB NACH 1945 43
- 3. DIE ÖSTERREICHISCHE GESELLSCHAFT FÜR LITERATUR (1961–1975) 81
- 3.1 Gründung und Anfänge der Österreichischen Gesellschaft für Literatur 83
- 3.2 Einladungs- und Veranstaltungspolitik der ÖGL 98
- 3.3 Die ÖGL und das Konzept einer österreichischen Literatur 124
- 3.4 Die ÖGL und „Wort in der Zeit“ 142
- 3.5 Eine „Heimatadresse“? Die ÖGL und die Exilliteratur 155
- 3.6 Forum der Jugend 180
- 3.7 Bemühungen um die Literatur der östlichen Nachbarn 183
- 3.8 Resümee 190
- 4. „DAS MANAGEMENT REISST NICHT AB“. WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE LITERATUR 193
- 5. KONTAKTPERSON, VERMITTLER, DOLMETSCHER: WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE KULTURPOLITIK 297
- 6. WOLFGANG KRAUS’ NETZWERKE IM KULTURELLEN KALTEN KRIEG 355
- 7. RESÜMEE 399
- 8. LITERATURVERZEICHNIS 403
- 9. PERSONENREGISTER 437