Page - 77 - in Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
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folgte den ideologisch, politisch und pädagogisch vorgezeichneten kulturpoli-
tischen Zielen der Zweiten Republik, die in einer Restauration des durch die
siebenjährige NS-Herrschaft angeschlagenen österreichischen Nationalbewusst-
seins bestanden.126 Eine weitere Initiative für die österreichische Literatur war
die ab 1955 von Rudolf Henz ebenfalls bei Stiasny herausgegebene Reihe „Dich-
tung der Gegenwart“. Diese Reihe fand jedoch nur wenige Leserinnen und Leser,
da sie dem „Schicksal vieler subventionierter Aktivitäten“127 anheimfiel und die
Exemplare in Schulbibliotheken sowie Büchereien landeten. Kurt Benesch, im
Rahmen der ÖGL für das „Forum der Jugend“ zuständig, äußert sich kritisch
zu den Auswahlbänden, die im Rahmen der Stiasny-Bücherei erschienen:
Herr Min.Rat. Dr. Alfred Weikert hat in der letzten Diskussion im Rahmen der
[ÖGL] festgestellt, diese Reihe wäre dazu geschaffen worden, um einen Autor ein-
zuführen, ihm einen Start zu geben etc. Ich muß leider feststellen, daß eine derar-
tige Aufmachung – die sogar noch die Umschläge [Johann] Gunerts und [Johan-
nes] Urzidils an Geschmacklosigkeit überbieten – gerade das Gegenteil von einem
Start, einer Hilfe darstellt, nämlich eine Abschreckung, selbst für jene, die bisher
von diesem Autor ein wenig gehalten haben sollten.128
Bereits einige Monate vor der Staatsvertragsunterzeichnung beobachtet Wolf-
gang Kraus, dass das „aus der Bundesrepublik kommende Buch immer stärker
in den Vordergrund tritt und die Auslagen beherrscht“,129 und auch drei Jahre
später hatte sich an der Promotion von Werken österreichischer Schriftstelle-
rinnen und Schriftsteller – auch angesichts offizieller Anlässe wie der Österrei-
chischen Buchwoche 1958 – nichts Grundlegendes verändert:
Es kann gewiß nie genug Propaganda für das Buch im allgemeinen und das öster-
reichische Buch im besonderen gemacht werden […]. Allerdings, auf einen Schön-
heitsfehler soll bei aller Sympathie nun doch für künftige Beachtung hingewiesen
werden: [I]n dieser repräsentativen Schau der österreichischen Buchwoche sucht
man einige sehr wesentliche Repräsentanten der österreichischen Literatur vergeb-
lich – etwa [Hugo von] Hofmannsthal, [Arthur] Schnitzler, [Franz] Kafka, [Rudolf]
126 Vgl. Stefan
H. Kaszyński: Die Anthologie ‚Das österreichische Wort‘ als Instrument der staat-
lichen Kulturpolitik. In: Janusz Golec (Hg.): Der Schriftsteller und der Staat. Apologie und
Kritik in der österreichischen Literatur. Lublin: Wydawn. Uniw. Marii Curie-Skłodowskiej 1999,
S. 175–185.
127 Lunzer: Der literarische Markt. In: Aspetsberger (Hg.): Literatur der Nachkriegszeit, S. 45.
128 Kurt Benesch an den Stiasny-Verlag, 8.
April 1963, Literaturarchiv der Österreichischen Nati-
onalbibliothek, ÖLA 146/00, Vorlass Kurt Benesch, ohne Signatur.
129 Wolfgang Kraus: Was liest man in Österreich? In: Neue Württemberger Zeitung, 25. Jänner
1955.
Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
Entwicklung(en) des Literaturbetriebs nach 1945 77
Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Title
- Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Author
- Stefan Maurer
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23312-1
- Size
- 15.8 x 24.0 cm
- Pages
- 452
- Category
- Kunst und Kultur
Table of contents
- 1. EINLEITUNG: WOLFGANG KRAUS, EIN „KANTENLOSER HOMME DE LETTRES“? 9
- 2. DER ÖSTERREICHISCHE LITERATURBETRIEB NACH 1945 43
- 3. DIE ÖSTERREICHISCHE GESELLSCHAFT FÜR LITERATUR (1961–1975) 81
- 3.1 Gründung und Anfänge der Österreichischen Gesellschaft für Literatur 83
- 3.2 Einladungs- und Veranstaltungspolitik der ÖGL 98
- 3.3 Die ÖGL und das Konzept einer österreichischen Literatur 124
- 3.4 Die ÖGL und „Wort in der Zeit“ 142
- 3.5 Eine „Heimatadresse“? Die ÖGL und die Exilliteratur 155
- 3.6 Forum der Jugend 180
- 3.7 Bemühungen um die Literatur der östlichen Nachbarn 183
- 3.8 Resümee 190
- 4. „DAS MANAGEMENT REISST NICHT AB“. WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE LITERATUR 193
- 5. KONTAKTPERSON, VERMITTLER, DOLMETSCHER: WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE KULTURPOLITIK 297
- 6. WOLFGANG KRAUS’ NETZWERKE IM KULTURELLEN KALTEN KRIEG 355
- 7. RESÜMEE 399
- 8. LITERATURVERZEICHNIS 403
- 9. PERSONENREGISTER 437