Page - 99 - in Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
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Der Untersuchungszeitraum umfasst hierbei die Jahre zwischen 1962 und
1975. Denn bis dahin operierte die ÖGL in Wien hegemonial, also konkurrenz-
los hinsichtlich literarischer Veranstaltungen. 1975 wurde das „Literarische Quar-
tier“ in der „Alten Schmiede“ eröffnet, das bereits 1969 vom Direktor des Ver-
lags Jugend & Volk gemeinsam mit dem sozialistischen Kulturpolitiker Kurt Biak
als Kunstverein Wien gegründet worden war. Mit der Unterstützung des Kul-
turamtes der Stadt Wien sollten dort Ausstellungen und Theaterproduktionen
ermöglicht werden, die Aktivitäten weiteten sich aber auch auf den literarischen
Bereich aus. Als Leiter war, wie bereits erwähnt, Reinhard Urbach, ein ehema-
liger Mitarbeiter der ÖGL, bestellt worden, der die „Alte Schmiede“ bis 1979
führte. Kraus sah Urbach als seinen „beste[n] einstige[n] Mitarbeiter“, der nun
sein „stärkster und erfolgreichster Konkurrent“65 war.
Die besondere Bedeutung, die der Lesung als performativem Akt innerhalb
des Literaturbetriebs zukommt, soll an dieser Stelle nicht weiter erörtert wer-
den.66 Zentral ist, dass die Lesung als solche nicht nur eine ökonomische Hilfe
für die Autorin bzw. den Autor ist, sondern „auch eine Feierstunde mit ihrem
rituellen Ablauf: die lobende Einleitung, die Wortreichung und Überprüfung
der Authentizität des Autors, die Fragen zum Verständnis der Wandlung, das
gemeinsame Abendessen danach.“67
Latenter Antikommunismus
Übermächtig im Veranstaltungsprogramm vertreten, u. a. für Einleitungen, zu
Diskussionen und Lesungen eingeladen, war Hans Weigel, der zwischen 1962
und 1975 insgesamt siebenundzwanzig Mal auf dem Podium vertreten war. Die
bestimmende Figur der österreichischen Nachkriegsliteratur war auch in der
ÖGL gut positioniert, und damit gerät angesichts der politischen Orientierung
Weigels, die als antikommunistisch zu bezeichnen ist, – es sei hier an seine Kam-
pagnen gegen den österreichischen P.E.N.-Club und deren Präsidenten Franz
Theodor Csokor erinnert sowie an seine Beteiligung beim Boykott der Stücke
Bertolt Brechts an österreichischen Bühnen,68 – ein ideologischer Aspekt hin-
sichtlich der Einladungspolitik ins Blickfeld.69 Denn Weigel arbeitete seit den
65 Wolfgang Kraus: Tagebuch, 7. Februar 1977, NL WK.
66 Vgl. Susan Esmann: Die Autorenlesung. Eine Form der Literaturvermittlung. In: Kritische
Ausgabe (2007), Nr. 1, S. I–VI.
67 Klaus Zeyringer: Ehrenrunden im Salon. Kultur – Literatur – Betrieb. Essay. Innsbruck, Wien,
Bozen: Studien-Verlag 2007, S. 21.
68 Vgl. Kurt Palm: Vom Boykott zur Anerkennung. Brecht und Österreich. 2. durchges. Aufl.
Wien, München: Löcker 1984.
69 Zu Hans Weigels Antikommunismus vgl. Stefan Maurer: „Berufsmässige Antikommunisten sind
Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
Einladungs- und Veranstaltungspolitik der ÖGL 99
Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Title
- Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Author
- Stefan Maurer
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23312-1
- Size
- 15.8 x 24.0 cm
- Pages
- 452
- Category
- Kunst und Kultur
Table of contents
- 1. EINLEITUNG: WOLFGANG KRAUS, EIN „KANTENLOSER HOMME DE LETTRES“? 9
- 2. DER ÖSTERREICHISCHE LITERATURBETRIEB NACH 1945 43
- 3. DIE ÖSTERREICHISCHE GESELLSCHAFT FÜR LITERATUR (1961–1975) 81
- 3.1 Gründung und Anfänge der Österreichischen Gesellschaft für Literatur 83
- 3.2 Einladungs- und Veranstaltungspolitik der ÖGL 98
- 3.3 Die ÖGL und das Konzept einer österreichischen Literatur 124
- 3.4 Die ÖGL und „Wort in der Zeit“ 142
- 3.5 Eine „Heimatadresse“? Die ÖGL und die Exilliteratur 155
- 3.6 Forum der Jugend 180
- 3.7 Bemühungen um die Literatur der östlichen Nachbarn 183
- 3.8 Resümee 190
- 4. „DAS MANAGEMENT REISST NICHT AB“. WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE LITERATUR 193
- 5. KONTAKTPERSON, VERMITTLER, DOLMETSCHER: WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE KULTURPOLITIK 297
- 6. WOLFGANG KRAUS’ NETZWERKE IM KULTURELLEN KALTEN KRIEG 355
- 7. RESÜMEE 399
- 8. LITERATURVERZEICHNIS 403
- 9. PERSONENREGISTER 437