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men einer eigenen Veranstaltung vor. Im Jahr darauf nahm er im Mai an einer
Lesung von Autorinnen und Autoren teil, darunter Kurt Benesch, Ernst Ham-
mer und Andreas Okopenko, die vom Unterrichtsministerium mit einem Sti-
pendium ausgezeichnet worden waren. Ende Februar 1965 las Bernhard anläss-
lich der Verleihung des Literaturpreises der Stadt Bremen in Wien. Nach einer
einjährigen „Lesungspause“ in der ÖGL trat er wieder Mitte März 1967 im Rah-
men der Buch-Präsentation von Verstörung auf, wobei Gerhard Fritsch mit ihm
ein Gespräch führen sollte, dieses entfiel jedoch, da Fritsch mit dem Autor nicht
über ein Buch sprechen wollte, das er noch nicht kannte.98 Das Erscheinen von
Verstörung, Bernhards zweitem Roman, war „schon ein literarisches Ereignis,
bevor sich noch die Kritiker äußern konnten“.99 Als Bernhard 1968 den soge-
nannten „kleinen“ Österreichischen Staatspreis für Literatur erhielt, wurde
Anfang März ebenfalls eine Lesung veranstaltet. Trotz des Eklats bei der Verlei-
hung des Staatspreises, bei dem Bernhard Unterrichtsminister Piffl-Perčević
brüskierte, kam es zu weiteren Auftritten in der ÖGL: im November 1969, 1970
sowie im Oktober 1973. Insgesamt war Bernhard mit sieben Auftritten in der
ÖGL gut aufgestellt, was auch mit der Beziehung zu Kraus zu tun hatte.
Ingeborg Bachmann, die 1952 ihren literarischen Durchbruch bei einer Lesung
der „Gruppe 47“ mit dem Lyrikband Die gestundete Zeit gefeiert hatte und dar-
aufhin Österreich den Rücken kehrte, um ihre Karriere über Westdeutschland
voranzutreiben, lebte in Italien, der Schweiz und der Bundesrepublik, bevor sie
Mitte der 1960er Jahre nach Rom zog. Seit 1963 hatte sich die ÖGL bemüht, sie
zu einer Lesung nach Wien zu holen.100 Sie trat zweimal auf: Im Mai 1965 las sie
im Großen Saal des Palais Pálffy einige Passagen aus Ein Ort für Zufälle, in dem
das geteilte Berlin im Zentrum steht, dann trat sie erst wieder 1971 auf.101 Obwohl
sich Kraus in zahlreichen Briefen bemühte, die Schriftstellerin enger an Wien
zu binden, u. a. 1965 mit einem Stipendium für einen mehrmonatigen Arbeits-
aufenthalt oder ihr eine ständige Wohnmöglichkeit in Wien zu verschaffen,
98 Vgl. e.h.: Die Kostprobe mundete wenig. Thomas Bernhard las in Wien aus seinem Roman
„Verstörung“. In: Salzburger Nachrichten, 16. März 1967, S. 7.
99 Hans Höller: Thomas Bernhard. 4. Aufl. Reinbek/H.: Rowohlt 1994 (= Rowohlts Monographi-
en 504), S. 78.
100 Vgl. Wolfgang Kraus an Ingeborg Bachmann, 14. Mai 1963, ÖGL-Archiv.
101 Die Berichte über die Veranstaltung waren teilweise hämisch: „So groß allerdings wie bei Art-
mann, Bernhard, Canetti – um nur den Anfang des Alphabets zu vergleichen – war an diesem
Abend der Rummel nicht. Zu lange schon durfte man von der Dichterin glauben, daß sie ver-
stummt sei.“ Hannes Schneider: Trauriges vom Großen Bären. In: Kurier, 2. Juni 1971; „Ins-
gesamt erfüllte sich auch an der Bachmann der Satz, daß Schriftsteller nicht unbedingt die
besten Interpreten, und was mehr wiegt, Verteidiger ihrer Produkte sein müssen.“ H. O.: Ein
Abend in Wien mit „Malina“. In: Kleine Zeitung, 23. Mai 1971.
Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
Einladungs- und Veranstaltungspolitik der ÖGL 109
Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Title
- Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Author
- Stefan Maurer
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23312-1
- Size
- 15.8 x 24.0 cm
- Pages
- 452
- Category
- Kunst und Kultur
Table of contents
- 1. EINLEITUNG: WOLFGANG KRAUS, EIN „KANTENLOSER HOMME DE LETTRES“? 9
- 2. DER ÖSTERREICHISCHE LITERATURBETRIEB NACH 1945 43
- 3. DIE ÖSTERREICHISCHE GESELLSCHAFT FÜR LITERATUR (1961–1975) 81
- 3.1 Gründung und Anfänge der Österreichischen Gesellschaft für Literatur 83
- 3.2 Einladungs- und Veranstaltungspolitik der ÖGL 98
- 3.3 Die ÖGL und das Konzept einer österreichischen Literatur 124
- 3.4 Die ÖGL und „Wort in der Zeit“ 142
- 3.5 Eine „Heimatadresse“? Die ÖGL und die Exilliteratur 155
- 3.6 Forum der Jugend 180
- 3.7 Bemühungen um die Literatur der östlichen Nachbarn 183
- 3.8 Resümee 190
- 4. „DAS MANAGEMENT REISST NICHT AB“. WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE LITERATUR 193
- 5. KONTAKTPERSON, VERMITTLER, DOLMETSCHER: WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE KULTURPOLITIK 297
- 6. WOLFGANG KRAUS’ NETZWERKE IM KULTURELLEN KALTEN KRIEG 355
- 7. RESÜMEE 399
- 8. LITERATURVERZEICHNIS 403
- 9. PERSONENREGISTER 437