Page - 116 - in Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
Image of the Page - 116 -
Text of the Page - 116 -
sei: „Das Applausbarometer reichte von freundlich bis herzlich. Niemand ver-
ließ den Saal, obwohl Rühm mit harten Brocken nicht sparte.“128 Am 5.
Mai 1970
stellte in der Reihe „Profile der neuen Literatur“ Friedrich Achleitner seinen
Band prosa, konstellationen, montagen, dialektgedichte, studien, der bei Rowohlt
erschienen war, vor.
H. C. Artmann, der sich ab 1958 von der „Wiener Gruppe“ losgesagt hatte,
trat am 13. April 1967 auf und löste damit ein unvorhergesehenes Chaos aus,
wie die „Salzburger Nachrichten“ berichteten:
Zehn nach Acht ahnte man in den vorderen Reihen, daß das Podium schon besetzt
sei, denn man hörte von dort unverständliche Stimmen. Zu sehen war nichts, weil
zwischen der ersten Reihe und der Estrade weit über fünfzig Personen standen,
ebenso wie an den Seiten und im Mittelgang, wo überdies das Fernsehen installiert
war und durch dauernde Scheinwerferbestrahlung das chaotische Gedränge mit
tropischer Temperatur noch unleidlicher machte. […] Kurzum, es waren zu [H.
C.
Artmann] mindestens doppelt so viele Besucher erschienen als unlängst zu Tho-
mas Bernhard, Günter Eich oder Professor Walter Jens, – aber andererseits nicht
mehr als zu Peter Handke, ebenfalls vor wenigen Wochen. Es waren also neben
den ständig Eingeladenen wieder einmal jener Teil der reiferen Jugend gekommen,
für den der Autor beim aggressiven Autor anfängt. […] Ein Handke, ein H.
C. Art-
mann leistet auf literarischem Gebiet, was Udo Jürgens auf musikalischem bietet:
Protest nach Noten.129
Weitere Lesungen Artmanns erfolgten in den Jahren 1969 sowie 1970 und 1972;
in seinen Briefen zeigt er sich der ÖGL sehr verbunden: „Was gibt es [N]eues in
Wien? Leider kann ich ja nicht mehr zurück, obgleich mir unser ganzer Kreis
manchmal wahnsinnig abgeht. Hier lebe ich vollkommen isoliert, die kurzen
Deutschlandfahrten sind mir paradiesische Augenblicke. In Frankfurt und Zürich
wurde viel von Ihnen [d. i. Wolfgang Kraus] gesprochen“.130
Obwohl aus literaturgeschichtlicher Perspektive oft konstatiert worden ist, dass
die Politisierung der zeitgenössischen österreichischen Literatur gesellschaftlich
bei Weitem nicht so bedeutend wie in der Bundesrepublik war und statt einer
„Revolution im politischen Bereich [eine] Revolution im ästhetischen“, also
„innerliterarischen Bereich“ stattfand, setzte sich, wie Schmidt-Dengler festge-
stellt hat, eine Veränderung der Literatur von innen, anstatt eines Wandels des
128 B.: Avantgarde – Salonfähig. In: Volksblatt, 2. Oktober 1968, S. 7.
129 Edwin Hartl: Ein Prominenter sui generis. H.
C. Artmann im Wiener Palais Palffy mit Polizei-
aufgebot. In: Salzburger Nachrichten, 13. April 1967, S. 7.
130 H. C. Artmann an Wolfgang Kraus, 26. Jänner 1964, ÖGL-Archiv.
Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
116 Die Österreichische Gesellschaft für Literatur (1961–1975)
Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Title
- Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Author
- Stefan Maurer
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23312-1
- Size
- 15.8 x 24.0 cm
- Pages
- 452
- Category
- Kunst und Kultur
Table of contents
- 1. EINLEITUNG: WOLFGANG KRAUS, EIN „KANTENLOSER HOMME DE LETTRES“? 9
- 2. DER ÖSTERREICHISCHE LITERATURBETRIEB NACH 1945 43
- 3. DIE ÖSTERREICHISCHE GESELLSCHAFT FÜR LITERATUR (1961–1975) 81
- 3.1 Gründung und Anfänge der Österreichischen Gesellschaft für Literatur 83
- 3.2 Einladungs- und Veranstaltungspolitik der ÖGL 98
- 3.3 Die ÖGL und das Konzept einer österreichischen Literatur 124
- 3.4 Die ÖGL und „Wort in der Zeit“ 142
- 3.5 Eine „Heimatadresse“? Die ÖGL und die Exilliteratur 155
- 3.6 Forum der Jugend 180
- 3.7 Bemühungen um die Literatur der östlichen Nachbarn 183
- 3.8 Resümee 190
- 4. „DAS MANAGEMENT REISST NICHT AB“. WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE LITERATUR 193
- 5. KONTAKTPERSON, VERMITTLER, DOLMETSCHER: WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE KULTURPOLITIK 297
- 6. WOLFGANG KRAUS’ NETZWERKE IM KULTURELLEN KALTEN KRIEG 355
- 7. RESÜMEE 399
- 8. LITERATURVERZEICHNIS 403
- 9. PERSONENREGISTER 437