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ausgegebenen Anthologie „Der gewöhnliche Schrecken“ auf.134 Am 17. Jänner
1969 lasen Mayröcker und Jandl wieder gemeinsam in der ÖGL, erstere aus
Minimonsters Traumlexikon, letzterer aus Sprechblasen, beide Bücher waren in
deutschen Verlagen erschienen. Der Literaturkritiker Edwin Hartl hat über die
Lesung mit einigem Ressentiment festgehalten: „Gerade weil es sich da nicht um
verirrte Anfänger, sondern um zwei (im kleinen Kreis) bereits anerkannte und
hochgeschätzte Fachkräfte handelt […], muß einmal ohne Snobismus klipp und
klar festgestellt werden: Mehr oder minder raffinierter Bluff ist heutzutage Trumpf
auf diesem Gebiet.“135
Schließlich wurden am 22. Jänner 1970 auch die Hörspiele Fünf Mann Men-
schen und Der Gigant, die Jandl und Mayröcker gemeinsam verfasst hatten und
die im SWF und WDR gesendet worden waren, in der Reihe „Profile der neue-
ren Literatur“ präsentiert.136
Am 27.
Februar 1967 hatte Peter Handke, der 1964 schon (unter weniger großer
Öffentlichkeit) im „Forum der Jugend“ aufgetreten war, eine Lesung im Palais
Pálffy anlässlich der Anfang März stattfindenden Premiere seines Stücks Publi-
kumsbeschimpfung im Kleinen Theater der Josefstadt. Die „Presse“ berichtete,
dass „alles versammelt [war], was in Wien den Puls der Zeit schlagen läßt oder
seinen Finger an ihn halten will. Minirock und Langhaar, PEN-Club und Minis-
terium“.137 Der Saal, in dem Handke aus seinem Roman Der Hausierer das Kapi-
tel „Die Langeweile vor dem letzten Mord“ las, war „gepfercht voll“.138 Der „kome-
tenhafte“ Aufstieg Handkes, der „zur Sensation der sprachkritischen
Avantgarde-Literatur“139 avancierte, hatte sich 1966 innerhalb weniger Monate
ereignet. Er war zunächst nicht durch seine literarischen Texte zur Sensation
geworden, sondern durch seine Wortmeldung auf der Tagung der „Gruppe 47“
in Princeton im April 1966, wo er den Vertretern des „Neuen Realismus“, also
vor allem westdeutschen AutorInnen, „Beschreibungsimpotenz“ vorwarf.140
Knapp zwei Monate später gelangte bei der „Experimenta I“ am Frankfurter
134 Vgl. N.
N.: Der gewöhnliche Schrecken. Mayröcker, Artmann, Jonke im Palffy mit neuen Hor-
ror-Geschichten. In: Kurier, 13. November 1969, S. 11.
135 Edwin Hartl: Mayröcker & Jandl oder Lyrik mit Kaugummi. Problematischer Lyrikabend der
ÖGL in Wien. In: Salzburger Nachrichten, 20. Jänner 1969, S. 8.
136 Hannes Schneider: Textlandschaft fürs Ohr. Profile VI: Hörspiele von Mayröcker und Jandl.
In: Kurier, 31. Jänner 1970, S. 8.
137 Vgl. gob: Wirklichkeit der Sprache. In: Presse, 1. März 1967, S. 6.
138 L. Löwe: Ein artiger junger Mann. In: Kurier, 1. März 1967, S. 9.
139 Hans Höller: Peter Handke. Reinbek/H..: Rowohlt 2007 (=Rowohlts Monographien 50663),
S. 41.
140 Vgl. Helmut Böttiger: Die Gruppe 47. Als die deutsche Literatur Geschichte schrieb. 3. Aufl.
München: Deutsche Verlags-Anstalt 2013, S. 392.
Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
118 Die Österreichische Gesellschaft für Literatur (1961–1975)
Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Title
- Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Author
- Stefan Maurer
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23312-1
- Size
- 15.8 x 24.0 cm
- Pages
- 452
- Category
- Kunst und Kultur
Table of contents
- 1. EINLEITUNG: WOLFGANG KRAUS, EIN „KANTENLOSER HOMME DE LETTRES“? 9
- 2. DER ÖSTERREICHISCHE LITERATURBETRIEB NACH 1945 43
- 3. DIE ÖSTERREICHISCHE GESELLSCHAFT FÜR LITERATUR (1961–1975) 81
- 3.1 Gründung und Anfänge der Österreichischen Gesellschaft für Literatur 83
- 3.2 Einladungs- und Veranstaltungspolitik der ÖGL 98
- 3.3 Die ÖGL und das Konzept einer österreichischen Literatur 124
- 3.4 Die ÖGL und „Wort in der Zeit“ 142
- 3.5 Eine „Heimatadresse“? Die ÖGL und die Exilliteratur 155
- 3.6 Forum der Jugend 180
- 3.7 Bemühungen um die Literatur der östlichen Nachbarn 183
- 3.8 Resümee 190
- 4. „DAS MANAGEMENT REISST NICHT AB“. WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE LITERATUR 193
- 5. KONTAKTPERSON, VERMITTLER, DOLMETSCHER: WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE KULTURPOLITIK 297
- 6. WOLFGANG KRAUS’ NETZWERKE IM KULTURELLEN KALTEN KRIEG 355
- 7. RESÜMEE 399
- 8. LITERATURVERZEICHNIS 403
- 9. PERSONENREGISTER 437