Page - 130 - in Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
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Rahmen zu verschaffen. Die österreichische Literatur wurde in zahlreichen Ver-
anstaltungen aus dem „Abseits“ und ins Zentrum des öffentlichen Interesses
geholt.
Die Beschaffenheit der österreichischen Literatur wurde deshalb zunächst
einmal in Zusammenhang mit ihren innerösterreichischen Kritikern gestellt.
Über die Diskussion „Sinn und Wirkung der Kritik“ im Februar 1962, an der
Otto
F. Beer, Paul Blaha, Leon Epp, Ernst Haeussermann, Piero Rismondo, Edwin
Rollett, Helmut Schwarz und Franz Stoß beteiligt waren, hat Hans Heinz Hahnl
für die „Arbeiter-Zeitung“ folgendes festgehalten: „Wer sich ein Streitgespräch
auf hoher Ebene oder allenfalls ein fröhliches Gewitter zur Reinigung der Atmo-
sphäre erwartet hatte, wurde enttäuscht. Es gab nur eine mäßig interessante,
intellektuell unergiebige Mixtur von Anklage und Beschwichtigung. […] Die
Katze wurde nicht aus dem Sack gelassen. Nur gelegentlich erlaubte man ihr, zu
miauen.“180 Die Vorstöße, die Rollett als einziger der beteiligten Kritiker unter-
nommen hatte, der nicht für die unabhängige Presse oder Boulevardpresse schrieb,
blieben ohne Echo.
Eine weitere Diskussionsrunde im Oktober 1962 widmete sich dem Stand des
österreichischen Literaturbetriebes, die sehr gut die Bedingungen für die Auf-
gaben und die Arbeit der ÖGL illustriert und deshalb näher in den Fokus gerückt
werden soll.181 An der Diskussion, die jeweils durch ein Referat der Diskutanten
eingeleitet wurde, nahmen die Ministerialbeamten Alfred Weikert und Hans
Brunmayr teil, weitere Teilnehmer waren, ganz dem Proporz gemäß, der
P.E.N.-Präsident Franz Theodor Csokor, der Programmdirektor für Literatur,
Hörspiel und Wissenschaft beim ORF Ernst Schönwiese, Hans Weigel, die zen-
trale Integrationsfigur der österreichischen Literatur nach 1945, sowie Milo Dor
und Herbert Zand, die beide Weigels Kreis im Café Raimund angehört hatten.
Es waren also vor allem Autoren der mittleren und älteren Generation vertreten,
die der österreichischen Tradition in der Nachfolge der Donaumonarchie ver-
haftet waren.
Csokor gab ein Statement ab, in dem er die komplexen Entstehungsprozesse
von Literatur damit erklären wollte, dass diese mit gesellschaftlichen Rahmen-
bedingungen konfrontiert sei, als Beispiele führte er die Werke Heimito von
Doderers, George Saikos sowie Hans Leberts Die Wolfshaut (1960) an. Weigel
dagegen rückte die realpolitischen Aspekte ins Zentrum und übte scharfe Kritik
an der verfehlten Förderung der österreichischen Gegenwartsliteratur durch das
Unterrichtsministerium. Aus seiner Sicht habe sich der Staat durch die Konzen-
180 h.h.h. [d. i. Hans Heinz Hahnl]: Kritiker und Direktoren. In: Arbeiter-Zeitung, 8.
Februar 1962,
S. 4.
181 Herbert Zand: Isolierung und Förderung. Zur Situation der Literatur in Österreich. In: Wort
in der Zeit 8 (1962), H. 11, S. 1–6.
Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
130 Die Österreichische Gesellschaft für Literatur (1961–1975)
Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Title
- Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Author
- Stefan Maurer
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23312-1
- Size
- 15.8 x 24.0 cm
- Pages
- 452
- Category
- Kunst und Kultur
Table of contents
- 1. EINLEITUNG: WOLFGANG KRAUS, EIN „KANTENLOSER HOMME DE LETTRES“? 9
- 2. DER ÖSTERREICHISCHE LITERATURBETRIEB NACH 1945 43
- 3. DIE ÖSTERREICHISCHE GESELLSCHAFT FÜR LITERATUR (1961–1975) 81
- 3.1 Gründung und Anfänge der Österreichischen Gesellschaft für Literatur 83
- 3.2 Einladungs- und Veranstaltungspolitik der ÖGL 98
- 3.3 Die ÖGL und das Konzept einer österreichischen Literatur 124
- 3.4 Die ÖGL und „Wort in der Zeit“ 142
- 3.5 Eine „Heimatadresse“? Die ÖGL und die Exilliteratur 155
- 3.6 Forum der Jugend 180
- 3.7 Bemühungen um die Literatur der östlichen Nachbarn 183
- 3.8 Resümee 190
- 4. „DAS MANAGEMENT REISST NICHT AB“. WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE LITERATUR 193
- 5. KONTAKTPERSON, VERMITTLER, DOLMETSCHER: WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE KULTURPOLITIK 297
- 6. WOLFGANG KRAUS’ NETZWERKE IM KULTURELLEN KALTEN KRIEG 355
- 7. RESÜMEE 399
- 8. LITERATURVERZEICHNIS 403
- 9. PERSONENREGISTER 437