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nen George C. Minden einen kulturellen Kalten Krieg gegen die Sowjetunion
führte (vgl. Kapitel 6).
Zwischen Avantgarde und Tradition
Die Redakteure wechselten, u. a. waren der früh verstorbene Hannes von Winter
bis 1957, Paul Kruntorad und schließlich Gerhard Fritsch an der Gestaltung der
Zeitschrift beteiligt. Fritsch, der ab Jänner 1960 als redaktioneller Mitarbeiter und
ab September 1962 als Redakteur aufscheint, kann zweifellos als derjenige gelten,
der die Zeitschrift hinsichtlich progressiver österreichischer Literatur, etwa von
Gerhard Rühm und Konrad Bayer, öffnete.229 Dass ein „Kompendium der öster-
reichischen Literatur während jener zehn Jahre, 1955 bis 1965“ entstanden ist, wie
Henz in seiner Autobiografie festhält, das „ohne Zäune den einzelnen Gruppen“
gegenüber, „ohne Kampf aller gegen alle, ohne Jahrgangs- und Stilgrenzen“ wäre,
ist nur von bedingter Richtigkeit. Henz hielt die literarischen Experimente der
Avantgarde für historisch überholt und proklamierte: „wenn unsere Zeitschrift
eine Tendenz hat, dann diese, dem Leser den Weg zur Dichtung als Gegenbild zu
zeigen. Nicht weil wir aus der Zeit flüchten, sondern weil wir die Verfälschung der
Zeit, auch wenn sie mit dem Anspruch auf Alleingültigkeit auftritt, annageln.“230
Dass „Wort in der Zeit“ eben nicht ganz so offen für progressive Literatur war,
zeigt etwa ein ablehnender Brief des Stiasny-Lektors Walter Zitzenbacher an die
Nobelpreisträgerin des Jahres 2005, Elfriede Jelinek, die, am Jahresbeginn 1966,
mit Gedichten an die Zeitschrift herantrat, um dort ihr literarisches Debüt zu
geben: „Ihre Gedichte sind sicherlich interessant – aber das ist ein Urteil, das
man über einen Großteil der modernen Lyrik fällen kann. Mir scheint es wich-
tiger, überzeugend statt interessant zu schreiben.“231
Wenn auch teilweise restriktive Literaturpolitik betrieben wurde, war die Auf-
lage der Zeitschrift doch beachtlich: Noch kurz vor der sogenannten Stiasny-Af-
färe 1965 hatte „Wort in der Zeit“ immerhin eine Auflage von 3.000 Exemplaren,
von der nur ein Drittel im Inland abgesetzt wurde, was den Exportcharakter des
Projekts nochmals unterstreicht.
Die Nahbeziehung zur ÖGL ergab sich auch in örtlicher Hinsicht, da die Redak-
tionsräume ab 1962 ebenfalls in der Herrengasse angesiedelt waren.232 Darüber
229 Vgl. Hackl: Die Zeitschrift als Seismograph. In: Ders., Kurt Krolop (Hg.): Wortverbunden –
zeitbedingt, S. 273–286.
230 Rudolf Henz: Rezension. In: Wort in der Zeit 6 (1960), H. 9, S. 53.
231 Walter Zitzenbacher an Elfriede Jelinek, 24. Jänner 1966, Dokumentationsstelle für neuere
österreichische Literatur, Stiasny-Verlagsarchiv, Korrespondenz 1964–1966.
232 Henz, dem wohl durch diese Konstellation klar wurde, dass er damit an „Macht“ einbüßen
würde, hielt in seinem Tagebuch fest: „Gestern zum erstenmal mit Fritsch in der Stadt im Büro
Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
Die ÖGL und das Konzept einer österreichischen Literatur 145
Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Title
- Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Author
- Stefan Maurer
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23312-1
- Size
- 15.8 x 24.0 cm
- Pages
- 452
- Category
- Kunst und Kultur
Table of contents
- 1. EINLEITUNG: WOLFGANG KRAUS, EIN „KANTENLOSER HOMME DE LETTRES“? 9
- 2. DER ÖSTERREICHISCHE LITERATURBETRIEB NACH 1945 43
- 3. DIE ÖSTERREICHISCHE GESELLSCHAFT FÜR LITERATUR (1961–1975) 81
- 3.1 Gründung und Anfänge der Österreichischen Gesellschaft für Literatur 83
- 3.2 Einladungs- und Veranstaltungspolitik der ÖGL 98
- 3.3 Die ÖGL und das Konzept einer österreichischen Literatur 124
- 3.4 Die ÖGL und „Wort in der Zeit“ 142
- 3.5 Eine „Heimatadresse“? Die ÖGL und die Exilliteratur 155
- 3.6 Forum der Jugend 180
- 3.7 Bemühungen um die Literatur der östlichen Nachbarn 183
- 3.8 Resümee 190
- 4. „DAS MANAGEMENT REISST NICHT AB“. WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE LITERATUR 193
- 5. KONTAKTPERSON, VERMITTLER, DOLMETSCHER: WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE KULTURPOLITIK 297
- 6. WOLFGANG KRAUS’ NETZWERKE IM KULTURELLEN KALTEN KRIEG 355
- 7. RESÜMEE 399
- 8. LITERATURVERZEICHNIS 403
- 9. PERSONENREGISTER 437