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Neubeginn und Öffnung? „Literatur und Kritik“
Mit dem Salzburger Otto-Müller-Verlag wurde dann ein eher konservativer Ver-
leger gefunden, das erste Heft von „Literatur und Kritik“ erschien im April 1966.
Auch Kraus war zu den Besprechungen hinzugezogen worden, schreibt er doch
an Henz, dass bei einer Sitzung die Ministerialräte Brunmayr und Lein dabei
sein würden, ebenso wie der Leiter des Verlags Richard Moissl.259 Henz sah sich
bei der Konzeption der neuen Zeitschrift, die den paradigmatischen Namen
„Literatur und Kritik“ führen sollte, in der Isolation: „Der Rechtsstehende, Kon-
servative gegen heimatlose Linke. Mein Versuch, als erster Herausgeber zu fun-
gieren, hat sogleich einen Sturm erregt. Ich habe praktisch bis heute bei der gan-
zen Sache am allerwenigsten zu reden. Auch wenn ich notgedrungen ein wenig
mehr noch geduldet werde“.260
Dennoch blieb er pro forma als Herausgeber im Impressum, obwohl er sich
kurzfristig mit Fritsch überworfen hatte und dem neuen Redakteur Paul Krun-
torad eine „nicht weniger gute Nase für neue, gute literarische Sachen aber eben-
so wie Fritsch kein Gefühl für das was man bringen kann“,261 attestierte. Krun-
torad brachte auch den Titel der neuen Zeitschrift, eine Verkürzung seiner
„Hefte für Literatur und Kritik“, die in nur drei Ausgaben zwischen 1959 und
1961 erschienen war, mit. Im Gespräch standen als Titel „Schnittpunkt“, den
Henz nahelegte, und Fritsch, der auch den Kontakt zum Otto-Müller-Verlag
hergestellt hatte, für den er seit den 1950er Jahren als Lektor und Berater arbei-
tete, schlug „Spektrum“ vor.262
Natürlich sollte der starke kulturpolitische Akzent erhalten bleiben, denn die
Herausgeber sahen, neben der Dokumentation der österreichischen Literatur,
die zweite Aufgabe in der „so oft zitierten Mittlerrolle Österreichs“ – also in der
Publikation von neuen Texten aus anderen Sprachen –, und waren vom Erfolg
dieses Projekts überzeugt, „weil die Kommunikationslinien aus Prag, Warschau,
Budapest, Bukarest, Belgrad, Sofia und, wer weiß, auch aus Moskau nach Wien
noch immer kürzer sind als anderswohin.“263
Als zusätzliches Redaktionsmitglied stieß Reinhard Priessnitz dazu, der auch
am „Neuen Forum“ von Günter Nenning mitarbeitete und sich in den 1950er
Jahren an Aktionen der „Wiener Gruppe“ beteiligt hatte. Als Kruntorad und
Priessnitz 1968 beide aus der Redaktion ausschieden, wurde Jeannie Ebner enga-
259 Wolfgang Kraus an Rudolf Henz, 23. Juli 1966, ebd.
260 Ebd.
261 Ebd.
262 Rudolf Henz: Tagebuch, 11 Jänner 1965, NL RH.
263 Gerhard Fritsch, Rudolf Henz, Paul Kruntorad: Über die Zeitschrift „Literatur und Kritik“. In:
Literatur und Kritik 1 (1966), H. 1, S. 1.
Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
152 Die Österreichische Gesellschaft für Literatur (1961–1975)
Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Title
- Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Author
- Stefan Maurer
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23312-1
- Size
- 15.8 x 24.0 cm
- Pages
- 452
- Category
- Kunst und Kultur
Table of contents
- 1. EINLEITUNG: WOLFGANG KRAUS, EIN „KANTENLOSER HOMME DE LETTRES“? 9
- 2. DER ÖSTERREICHISCHE LITERATURBETRIEB NACH 1945 43
- 3. DIE ÖSTERREICHISCHE GESELLSCHAFT FÜR LITERATUR (1961–1975) 81
- 3.1 Gründung und Anfänge der Österreichischen Gesellschaft für Literatur 83
- 3.2 Einladungs- und Veranstaltungspolitik der ÖGL 98
- 3.3 Die ÖGL und das Konzept einer österreichischen Literatur 124
- 3.4 Die ÖGL und „Wort in der Zeit“ 142
- 3.5 Eine „Heimatadresse“? Die ÖGL und die Exilliteratur 155
- 3.6 Forum der Jugend 180
- 3.7 Bemühungen um die Literatur der östlichen Nachbarn 183
- 3.8 Resümee 190
- 4. „DAS MANAGEMENT REISST NICHT AB“. WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE LITERATUR 193
- 5. KONTAKTPERSON, VERMITTLER, DOLMETSCHER: WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE KULTURPOLITIK 297
- 6. WOLFGANG KRAUS’ NETZWERKE IM KULTURELLEN KALTEN KRIEG 355
- 7. RESÜMEE 399
- 8. LITERATURVERZEICHNIS 403
- 9. PERSONENREGISTER 437