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Überleben“, der „einige weit auseinanderliegende Partien aus Masse und Macht
herauslöst[e] und zusammenfassend“325 verband. Canetti profitierte ungemein
von den Einladungen nach Wien und den Kraus’schen Initiativen: Öffentliche
Anerkennung wurde ihm mit dem Preis der Stadt Wien (1966) sowie dem „Gro-
ßen Österreichischen Staatspreis“ (1967) zuteil. Im September 1968 sendete der
ORF dann ein Filmporträt über Canetti.
Im März 1969 trug er im Mozartsaal des Wiener Konzerthauses, wo auch Karl
Kraus seine Vorlesungen gehalten hatte, aus der Hochzeit vor, die dann auch im
Wiener Volkstheater Ende September 1970 aufgeführt wurde, und am 1. Okto-
ber 1970 las er die Aufzeichnungen 1949 bis 1960. Kraus schlug dem Unterrichts-
ministerium eine Ehrung in Form des „Österreichischen Ehrenzeichens I.
Klas-
se“ zum 65. Geburtstag des Schriftstellers vor, „der seit langem in London lebt
und die österreichische Literatur im besten Sinn repräsentiert“.326
Dennoch blieb Canettis Verhältnis zu Wien, wie Hanuschek konstatiert, eine
„Haßliebe, einerseits gehörte er hierher […], [a]ndererseits hatte er aus der Stadt
fliehen müssen, und zeitweise konnte er den Dialekt nicht mehr hören“.327 Er
fand aber auch Vertraute wie den Schriftsteller Herbert Zand, „bei dem er die
Stille Hermann Brochs wiedergefunden habe“328 und wurde sowohl durch seine
Lesetourneen als auch die Preisverleihungen zu einer öffentlichen Figur. Sein
berühmter „Schützling“ dürfte Kraus dann aber zunehmend entglitten sein, wie
sich den Tagebüchern entnehmen lässt: „wieviel habe ich früher über Canetti
geschrieben! Einen ordentlichen Stoß, zu einer Zeit, da kaum jemand ihn kann-
te. Und heute beantwortet er mir keinen Brief, ohne daß es eine Verstimmung
gäbe. Das Alter, gewiß, aber auch der Höhenunterschied.“329
Robert Neumann
Der Autor und P.E.N.-Funktionär Robert Neumann war zwischen 10. und 15.
Juni
1963 in Wien, wo er mit Empfängen und Lesungen gefeiert wurde und auch eine
Lesung in der ÖGL abhielt. „Es war mir eine wirkliche Freude, bei Ihnen zu
lesen – es war der beste Rahmen, den ich mir in Wien wünschen konnte“,330
schreibt er an Kraus. Neumanns Bücher hatten 1933 zu den ersten gehört, die
auf dem Index und den Scheiterhaufen der Nationalsozialisten landeten. Er
325 Elias Canetti an Herbert Zand, 3. Oktober 1967, ÖGL-Archiv.
326 Wolfgang Kraus an Hans Brunmayr, 16. März 1970, ÖGL-Archiv.
327 Hanuschek: Elias Canetti, S. 511.
328 Ebd., S. 514.
329 Wolfgang Kraus: Tagebuch, 16. Dezember 1980, NL WK.
330 Robert Neumann an Wolfgang Kraus, 18. Juli 1963, ÖGL-Archiv.
Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
170 Die Österreichische Gesellschaft für Literatur (1961–1975)
Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Title
- Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Author
- Stefan Maurer
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23312-1
- Size
- 15.8 x 24.0 cm
- Pages
- 452
- Category
- Kunst und Kultur
Table of contents
- 1. EINLEITUNG: WOLFGANG KRAUS, EIN „KANTENLOSER HOMME DE LETTRES“? 9
- 2. DER ÖSTERREICHISCHE LITERATURBETRIEB NACH 1945 43
- 3. DIE ÖSTERREICHISCHE GESELLSCHAFT FÜR LITERATUR (1961–1975) 81
- 3.1 Gründung und Anfänge der Österreichischen Gesellschaft für Literatur 83
- 3.2 Einladungs- und Veranstaltungspolitik der ÖGL 98
- 3.3 Die ÖGL und das Konzept einer österreichischen Literatur 124
- 3.4 Die ÖGL und „Wort in der Zeit“ 142
- 3.5 Eine „Heimatadresse“? Die ÖGL und die Exilliteratur 155
- 3.6 Forum der Jugend 180
- 3.7 Bemühungen um die Literatur der östlichen Nachbarn 183
- 3.8 Resümee 190
- 4. „DAS MANAGEMENT REISST NICHT AB“. WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE LITERATUR 193
- 5. KONTAKTPERSON, VERMITTLER, DOLMETSCHER: WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE KULTURPOLITIK 297
- 6. WOLFGANG KRAUS’ NETZWERKE IM KULTURELLEN KALTEN KRIEG 355
- 7. RESÜMEE 399
- 8. LITERATURVERZEICHNIS 403
- 9. PERSONENREGISTER 437