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problematische Verhältnis zwischen Celan und ÖGL: „Vor zwei Jahren lud ihn
schließlich Wolfgang Kraus zu einer Lesung nach Wien ein. […] Ich glaube, da
war es schon zu spät.“353
Manès Sperber
Im Falle von Manès Sperbers kann man hingegen von einer Erfolgsgeschichte
sprechen, was seine Beziehung zur ÖGL und vor allem zu Kraus anbelangt. Sper-
bers Biographie ist die einer vielfachen Entwurzelung und Exilerfahrung, die
mit zwei Weltkriegen und mit der Erfahrung der zwei totalitären Systeme des
20.
Jahrhunderts verknüpft ist. Im Wesentlichen war Sperber ein „Weltbürger“,354
der immer wieder in aktuelle politische Debatten eingriff, sei dies in Zusam-
menhang mit Faschismus, Stalinismus oder dem Mai 1968, wodurch er als Wider-
legung der „in der Posthistoire für tot geglaubte[n] Figur des Intellektuellen“355
gelten kann.
Geboren 1905 in Zabłotów (Ostgalizien), einem jüdischen „Städtel“, das in
der nordöstlichsten Provinz der Habsburger Monarchie wie eine Enklave in
einem polnisch-christlichem Umfeld lag, musste seine Familie 1916 vor den
Kämpfen des Ersten Weltkriegs nach Wien flüchten, das zwischen 1916 bis
1927 „zur Stätte dessen wurde, was für das Werk und Wirken Sperbers bestim-
mend werden sollte“.356 Dort begann sein politisches Engagement, er brach
mit dem Zionismus und blieb sein Leben lang „ungläubiger Jude“357 und
erschloss sich die Welt der Wissenschaft und Literatur. 1927 ging er nach Ber-
lin, wo er als Schüler des Individualpsychologen Alfred Adler, mit dem er
schlussendlich brechen sollte, die „Individualpsychologie-Bewegung“ poli-
tisch links sozialisieren sollte. Er betrieb eine Praxis und lehrte, war für die
Kommunistische Partei Deutschlands aktiv und engagierte sich im kulturel-
lem Leben Berlins.
Am 15.
März 1933 wurde er in der Berliner Künstlerkolonie, die der KPD nahe-
stand, von den Nazis verhaftet. Er kam frei und flüchtete nach Wien, blieb wei-
terhin politisch aktiv und arbeitete im Untergrund für die KPD sowie die KPJ.
Viele seiner „Genossen“, darunter KPJ-Parteiführer wie Milan Gorkić und Đuro
353 Milo Dor: Paul Celan. In: Neues Forum 17 (1970), Nr. 198/199, S. 785–786, hier S. 786.
354 Hans-Rudolf Schießer: Im Exil zu Hause. Die vergebliche Heimkehr des Manès Sperber. In:
Stadler (Hg.): Vertriebene Vernunft II, Tlbd. 2, S. 564–574, hier S. 564.
355 Anne-Marie Corbin, Jacques Le Rider, Wolfgang Müller-Funk: Die Last der Geschichte. In:
Dies. (Hg.): Der Wille zur Hoffnung. Manès Sperber – Ein Intellektueller im europäischen
Kontext. Wien: Sonderzahl 2013, S. 7–10, hier S. 7.
356 Schießer: Im Exil zu Hause. In: Stadler (Hg.): Vertriebene Vernunft II, Tlbd. 2, S. 566.
357 Ebd.
Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
176 Die Österreichische Gesellschaft für Literatur (1961–1975)
Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Title
- Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Author
- Stefan Maurer
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23312-1
- Size
- 15.8 x 24.0 cm
- Pages
- 452
- Category
- Kunst und Kultur
Table of contents
- 1. EINLEITUNG: WOLFGANG KRAUS, EIN „KANTENLOSER HOMME DE LETTRES“? 9
- 2. DER ÖSTERREICHISCHE LITERATURBETRIEB NACH 1945 43
- 3. DIE ÖSTERREICHISCHE GESELLSCHAFT FÜR LITERATUR (1961–1975) 81
- 3.1 Gründung und Anfänge der Österreichischen Gesellschaft für Literatur 83
- 3.2 Einladungs- und Veranstaltungspolitik der ÖGL 98
- 3.3 Die ÖGL und das Konzept einer österreichischen Literatur 124
- 3.4 Die ÖGL und „Wort in der Zeit“ 142
- 3.5 Eine „Heimatadresse“? Die ÖGL und die Exilliteratur 155
- 3.6 Forum der Jugend 180
- 3.7 Bemühungen um die Literatur der östlichen Nachbarn 183
- 3.8 Resümee 190
- 4. „DAS MANAGEMENT REISST NICHT AB“. WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE LITERATUR 193
- 5. KONTAKTPERSON, VERMITTLER, DOLMETSCHER: WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE KULTURPOLITIK 297
- 6. WOLFGANG KRAUS’ NETZWERKE IM KULTURELLEN KALTEN KRIEG 355
- 7. RESÜMEE 399
- 8. LITERATURVERZEICHNIS 403
- 9. PERSONENREGISTER 437