Page - 229 - in Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
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spricht von der ÖGL als einem Forum für junge Autorinnen und Autoren und
von Kraus als einem Förderer, der sich um Lesereisen ins Ausland bemühte.
Nach dem Erscheinen ihres vierten Romans In fremden Städten (1992) erhielt
Mitgutsch den Anton-Wildgans-Preis, in dessen Jury Kraus saß.
Hinsichtlich Kraus’ literaturfördernder Tätigkeit zwischen den 1950er und den
1990er Jahren lässt sich konstatieren, dass er Werke zahlreicher Schriftstellerin-
nen und Schriftsteller förderte, die nicht im Kanon der österreichischen Litera-
turgeschichte Aufnahme gefunden haben. Dies ist kaum verwunderlich, denn
Kraus war vor allem um die Förderung jener Autorinnen und Autoren bemüht,
die stilistisch und inhaltlich „‚gegen den Strom der Zeitmode‘“ schwammen und
„‚die von den Verlagen wegen ihrer Unabhängigkeit von Moden nicht beach-
tet‘“137 wurden. Er monierte in den frühen 1950er Jahren, dass die jüngere Gene-
ration jener Autorinnen und Autoren, die nach 1945 zu publizieren begannen,
in der Bundesrepublik Deutschland nicht wahrgenommen würden: „Um die
österreichischen Erzähler, soweit sie zu den Lebenden gehören, ist es in Deutsch-
land eigentlich recht still. Man erinnert sich an die älteren Bücher Alexander
Lernet-Holenias, Rudolf Brunngrabers, Heinrich Waggerls.“138 In einer Sammel-
rezension aus dem Jahre 1953 stellte er aktuelle Neuerscheinungen vor, darunter
Das zerbrochene Dreieck von Fritz Habeck, Der Tugendfall von Karl Bednarik,
Ich gestehe alles von Johannes Mario Simmel, Gesang der Quelle von Alma Hol-
gersen, Solange es Tag ist von Imma von Bodmershof sowie Wasser des Lebens
von Erika Mitterer. Abgesehen vielleicht von Simmel sind das Autorinnen und
Autoren, die heute wohl als weitgehend vergessen gelten müssen. Ein weiteres
Beispiel wäre etwa Kurt Benesch, dessen bei Zsolnay erschienenem Erstlingsro-
man, Die Flucht vor dem Engel (1955), Kraus eine Besprechung widmete, even-
tuell dürfte er ihn sogar an den Verlag vermittelt haben. Der Roman spielt in
einer Strafkolonie, wo durch einen Zufall der politische Idealist Michel und der
Gewalttäter Goliath zusammengekettet werden, im Hintergrund steht die Frage
des Verhältnisses von Individuum und Diktatur.139 Kraus konstatiert, dass es im
Roman „um die Auseinandersetzung des Guten mit dem Diabolischen im Leben
schlechthin“ gehe und befindet das Buch als den „Auftakt“ eines österreichi-
schen Autors, „wie wir ihn seit Jahren bei uns nicht mehr gehört haben. Hier ist
ein junger Autor gefunden, der verdient, daß sich die Augen auf ihn richten.“140
137 Karin Kathrein: Bremsklötze gegen den Erfolg. „Presse“. Gespräch mit dem Leiter der Gesell-
schaft für Literatur. In: Die Presse, 29. Dezember 1971.
138 Wolfgang Kraus: Neue Romane aus Österreich. In: Stuttgarter Zeitung, 21. Dezember 1953.
139 Vgl. Roland Heger: Der österreichische Roman des 20.
Jahrhunderts. Bd. 1. Wien: Braumüller
1971 (= Untersuchungen zur österreichischen Literatur des zwanzigsten Jahrhunderts 4), S.
98 f.
140 Wolfgang Kraus: Flucht vor dem Engel. In: Der Tag (Berlin), 18. Oktober 1955.
Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
Der Literaturkritiker Kraus 229
Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Title
- Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Author
- Stefan Maurer
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23312-1
- Size
- 15.8 x 24.0 cm
- Pages
- 452
- Category
- Kunst und Kultur
Table of contents
- 1. EINLEITUNG: WOLFGANG KRAUS, EIN „KANTENLOSER HOMME DE LETTRES“? 9
- 2. DER ÖSTERREICHISCHE LITERATURBETRIEB NACH 1945 43
- 3. DIE ÖSTERREICHISCHE GESELLSCHAFT FÜR LITERATUR (1961–1975) 81
- 3.1 Gründung und Anfänge der Österreichischen Gesellschaft für Literatur 83
- 3.2 Einladungs- und Veranstaltungspolitik der ÖGL 98
- 3.3 Die ÖGL und das Konzept einer österreichischen Literatur 124
- 3.4 Die ÖGL und „Wort in der Zeit“ 142
- 3.5 Eine „Heimatadresse“? Die ÖGL und die Exilliteratur 155
- 3.6 Forum der Jugend 180
- 3.7 Bemühungen um die Literatur der östlichen Nachbarn 183
- 3.8 Resümee 190
- 4. „DAS MANAGEMENT REISST NICHT AB“. WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE LITERATUR 193
- 5. KONTAKTPERSON, VERMITTLER, DOLMETSCHER: WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE KULTURPOLITIK 297
- 6. WOLFGANG KRAUS’ NETZWERKE IM KULTURELLEN KALTEN KRIEG 355
- 7. RESÜMEE 399
- 8. LITERATURVERZEICHNIS 403
- 9. PERSONENREGISTER 437