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Über Humbert Finks Die engen Mauern (1958) urteilte Kraus, dass das Thema
des Romans nicht unbedingt originell sei und von einem „derben, realistischen
Humor, der allerdings nur in der gewissen Saufszene zum Vorschein kommt“,
durchsetzt sei, während „der Rest […] ordentlich erzählt“ sei, jedoch „ohne ein-
prägsame Farbe oder sonstige besondere Nuance“ bleibe.146 Der Text ist ein
Schlüsselroman, in dem die „Enge und Provinzialität einer österreichischen
Kleinstadt (namens Villach) in den 50er Jahren mit Schärfe gezeichnet sind“.147
Fink hatte jedoch nach einem „beachtlichen Start seine literarischen Ambitio-
nen zugunsten einer publizistischen Karriere aufgegeben“.148 Außer dem Gedicht-
band Verse aus Aquafredda (1953) und dem Roman Die Absage (1960) schrieb
er zahlreiche Reisebücher und Biografien historischer Persönlichkeiten.
Auch über die autobiografischen Romane von Milo Dor, darunter Nichts als
Erinnerung (1959), dessen Leben und Werk – wie Günther Stocker festgestellt
hat, – von dem Paradoxon gekennzeichnet ist, dass Dor zwar eine „allseits bekann-
te und respektierte Integrationsfigur des österreichischen Literaturbetriebs“149
gewesen sei, jedoch von Seiten der zeitgenössischen Germanistik Aufholbedarf
bestehe, die Aufarbeitung seiner Werke betreffend, schrieb Kraus Besprechun-
gen.150
Den Debütroman Die Herren Söhne (1963) von Peter von Tramin, der ein
kritisches Bild jener Jugend entwirft, die der Wiener Oberschicht zugehörig ist,
stellte Kraus neben die Werke des britischen Schriftstellers Lawrence Durrell,
da beide Autoren es verstünden, „die Menschen und Geschehnisse ihrer Roma-
ne aus dem Geist der örtlichen Herkunft zu entwickeln“, und lobte den Inhalt
sowie die stilistische Gestaltung des Textes, der, „wo immer die menschlichen
Beziehungen sich komplizieren, übersteigern, ungewöhnlich entwickeln“, ein
„gewaltsam geballtes literarisches Gewölk“151 entstehen lasse. Auch hier propa-
146 Wolfgang Kraus: Ein neues Talent. In: Stuttgarter Zeitung, 13.
September 1958; Badische Neu-
este Nachrichten, 30. Oktober; National-Zeitung Basel, 11. Oktober; Wiesbadener Kurier,
12.
November; Kölner Stadt-Anzeiger, 22.
November; Darmstädter Echo, 9.
Dezember; Schwä-
bische Landeszeitung, 11. Februar 1959.
147 Klaus Amann, Johann Strutz: Das literarische Leben. In: Helmut Rumpler (Hg.): Kärnten. Von
der deutschen Grenzmark zum österreichischen Bundesland. Wien, Köln, Weimar: Böhlau
1998 (= Geschichte der österreichischen Bundesländer seit 1945 2) S. 547–605, hier S. 602.
148 Doris Moser: Der Ingeborg-Bachmann-Preis. Börse, Show, Event. Wien, Köln, Weimar: Böh-
lau 2004 (= Literaturgeschichte in Studien und Quellen 9), S. 180
149 Günther Stocker: „Zone des Schweigens“. Totalitarismuskritik bei Milo Dor. In: Ders., Micha-
el Rohrwasser (Hg.): Spannungsfelder. Zur deutschsprachigen Literatur im Kalten Krieg, 1945–
1966. Wuppertal: Arco 2014 (= Arco Wissenschaft), S. 265–286, hier S. 268.
150 Wolfgang Kraus: Milo Dors Wiederkehr. In: Der Tag (Berlin), 26. März 1959.
151 Vgl. Wolfgang Kraus: Eine Entdeckung aus Wien. In: Die Presse, 5./6.
Oktober 1963; Südost-Ta-
gespost, 21. September; Luzerner Neueste Nachrichten, 18. Oktober; Wiesbadener Kurier,
2. Oktober; Oberbayerisches Volksblatt, 17. Oktober; Tages-Anzeiger Zürich, 23. November;
Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
Der Literaturkritiker Kraus 231
Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Title
- Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Author
- Stefan Maurer
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23312-1
- Size
- 15.8 x 24.0 cm
- Pages
- 452
- Category
- Kunst und Kultur
Table of contents
- 1. EINLEITUNG: WOLFGANG KRAUS, EIN „KANTENLOSER HOMME DE LETTRES“? 9
- 2. DER ÖSTERREICHISCHE LITERATURBETRIEB NACH 1945 43
- 3. DIE ÖSTERREICHISCHE GESELLSCHAFT FÜR LITERATUR (1961–1975) 81
- 3.1 Gründung und Anfänge der Österreichischen Gesellschaft für Literatur 83
- 3.2 Einladungs- und Veranstaltungspolitik der ÖGL 98
- 3.3 Die ÖGL und das Konzept einer österreichischen Literatur 124
- 3.4 Die ÖGL und „Wort in der Zeit“ 142
- 3.5 Eine „Heimatadresse“? Die ÖGL und die Exilliteratur 155
- 3.6 Forum der Jugend 180
- 3.7 Bemühungen um die Literatur der östlichen Nachbarn 183
- 3.8 Resümee 190
- 4. „DAS MANAGEMENT REISST NICHT AB“. WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE LITERATUR 193
- 5. KONTAKTPERSON, VERMITTLER, DOLMETSCHER: WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE KULTURPOLITIK 297
- 6. WOLFGANG KRAUS’ NETZWERKE IM KULTURELLEN KALTEN KRIEG 355
- 7. RESÜMEE 399
- 8. LITERATURVERZEICHNIS 403
- 9. PERSONENREGISTER 437