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mit der Grammatik nicht zu Rande“ komme, eine „neue Poetik“ daraus mache,
und „jeder, der nichts zu sagen hat, gebe das Nichtsagende als angeblich Unsag-
bares von sich“: „Dieser ‚Schmäh‘ sei so alt wie die Literaturgeschichte. […] Er,
Eisenreich, angesichts solcher Aktionen tatsächlich ein Reaktionär, sei trotzdem
dagegen. Mit diesem Preis habe man mit ihm zugleich auch die schweigende
Mehrheit ermutigt, dem alten Establishment vor allem schon deshalb den Rücken
zu kehren, um dem neuen die Stirne zu bieten.“297
Thomas Bernhard verewigte die Preisverleihung literarisch und reflektierte
über die Annahme des Preisgeldes: „Überhaupt hatte ich gedacht, daß der Mensch
immer Geld annehmen solle, wo man es ihm anbietet und er solle niemals lan-
ge herumfackeln über das Wie und Woher, alle diese Überlegungen sind doch
immer nur nichts anderes als ausgewachsene Heuchelei“; er mokierte sich jedoch
über die zu niedrige Summe, wo doch die Industrieellenvereinigung, so Bern-
hard, den Preis „ohne daß sie es überhaupt merken würde, mit fünf Millionen
dotieren könnte“.298 Die Verleihung des Wildgans-Preises fand nur eine Woche
nach dem Eklat um die Verleihung des Staatspreises an Bernhard statt, weshalb
Minister Theodor Piffl-Perčević, der in der Einladung zum Wildgans-Preis noch
als Ehrengast angekündigt gewesen war, absagte.
In den 1970er Jahren ging der Preis an Milo Dor (1972), Barbara Frischmuth
(1973), Ernst Hinterberger (1974), Christine Busta (1975), György Sebestyén
(1976) und Peter Henisch (1977). Die Verleihung an Henisch, der mit dem Roman
Die kleine Figur meines Vaters Erfolge feierte, ging auf einen direkten Vorschlag
von Kraus zurück: „[E]r machte einen guten Eindruck – möge das stimmen“,299
hielt er im Tagebuch fest. Henisch setzte sich in seiner Dankesrede polemisch
mit der Beziehung zwischen Mäzen und Autor auseinander: „Wieso, fragen mich
Freunde, verleiht ausgerechnet die österreichische Industrie ausgerechnet dir
einen Preis? Ist ihr Interesse deines, ist dein Interesse ihres: das kann doch nicht
wahr sein? Nun, sage ich, immer wenn ich meinen Steuerbescheid bekomme,
merkte ich: ich bin ein freier Unternehmer. Wenn also freie Unternehmer, denen
es besser geht, mir freiem Unternehmer, dem es schlechter geht, ein bißchen
unter die Arme greifen, finde ich das nur billig und recht.“300
Im Jahr 1978 erhielt Kraus selbst den Preis für seinen Essayband Die Wieder-
kehr des Einzelnen,301 während im folgenden Jahr ein anderer von Kraus prote-
gierter Autor, nämlich Matthias Mander, für sein Roman-Debüt Der Kasuar
297 N.
N.: Kampfansage gegen das Modische. Der Anton-Wildgans-Preis wurde Herbert Eisenreich
verliehen. In: Die Presse, 26. Juni 1970, S. 4.
298 Thomas Bernhard: Meine Preise. Frankfurt/M.: Suhrkamp 2009, S. 88.
299 Wolfgang Kraus: Tagebuch, 12. Dezember 1977, NL WK.
300 N. N.: Außenseiter aus Passion. In: Die Presse, 11. Mai 1978.
301 N. N.: Wildgans-Preis an Wolfgang Kraus. In: Die Presse, 22. März 1979, S. 5.
Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
264 Wolfgang Kraus und die österreichische Literatur
Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Title
- Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Author
- Stefan Maurer
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23312-1
- Size
- 15.8 x 24.0 cm
- Pages
- 452
- Category
- Kunst und Kultur
Table of contents
- 1. EINLEITUNG: WOLFGANG KRAUS, EIN „KANTENLOSER HOMME DE LETTRES“? 9
- 2. DER ÖSTERREICHISCHE LITERATURBETRIEB NACH 1945 43
- 3. DIE ÖSTERREICHISCHE GESELLSCHAFT FÜR LITERATUR (1961–1975) 81
- 3.1 Gründung und Anfänge der Österreichischen Gesellschaft für Literatur 83
- 3.2 Einladungs- und Veranstaltungspolitik der ÖGL 98
- 3.3 Die ÖGL und das Konzept einer österreichischen Literatur 124
- 3.4 Die ÖGL und „Wort in der Zeit“ 142
- 3.5 Eine „Heimatadresse“? Die ÖGL und die Exilliteratur 155
- 3.6 Forum der Jugend 180
- 3.7 Bemühungen um die Literatur der östlichen Nachbarn 183
- 3.8 Resümee 190
- 4. „DAS MANAGEMENT REISST NICHT AB“. WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE LITERATUR 193
- 5. KONTAKTPERSON, VERMITTLER, DOLMETSCHER: WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE KULTURPOLITIK 297
- 6. WOLFGANG KRAUS’ NETZWERKE IM KULTURELLEN KALTEN KRIEG 355
- 7. RESÜMEE 399
- 8. LITERATURVERZEICHNIS 403
- 9. PERSONENREGISTER 437