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1985 kam die Jury, die sich u. a. aus Ilse Tielsch, Jeannie Ebner, Wendelin
Schmidt-Dengler und Kraus zusammensetzte, überein, dass mit Herbert Eisen-
reich ein Vertreter der konservativen erzählerischen Tradition ausgezeichnet
werden sollte, die Laudatio hielt diesmal Wendelin Schmidt-Dengler. Im selben
Jahr erschien auch Eisenreichs Romanfragment Die abgelegte Zeit, in dem der
Autor versuchte, eine Phänomenologie der österreichischen Nachkriegsgesell-
schaft zu leisten. Das Buch wurde auch in der ÖGL vorgestellt: „Eisenreich, zwei
Monate nach seiner schweren Schädeltumoroperation mit Bart, recht still“,326 hat
Kraus im Tagebuch notiert.
1987 wurde der polnische Schriftsteller und Dramatiker Sławomir Mrożek
ausgezeichnet, dem 1989 Libuše Moníková folgte. Mrożek, der in seinen Werken
politischen Terror und Totalitarismus in satirischer Form verarbeitet, lebte seit
1963 in Frankreich und Mexiko und kehrte 1996 nach Krakau zurück. Zu seinen
Hauptwerken zählen Polizei (1958), Tango (1964) und Der Botschafter (1981). An
Mrożek, der Kraus bereits den Österreichischen Staatspreis für Europäische Lite-
ratur 1970 zu verdanken hatte und 1976 in der ÖGL aufgetreten war, schrieb die-
ser: „[G]estern ist in den Räumen der Literaturgesellschaft die Jury für den Franz-
Kafka-Preis zusammengetreten. […] Bisher erhielten ihn […] sehr gute Autoren.
[…] Die gestrige Jury hat einstimmig beschlossen, Dir den Kafka-Preis 1987 zu
verleihen und mich gebeten, Dich zu fragen, ob Du ihn anzunehmen bereit bist.“327
Für Mrożek, der gerade eine Schreibkrise zu bewältigen hatte, kam der Preis „im
richtigen Moment“,328 er begann wieder zu schreiben: „Erstaunlich, erfreulich,
was der Kafka-Preis bewirken kann.“329 1991 erhielt der Schriftsteller Stanisław
Lem und 1993 Peter Rosei den Preis. 1995 wurde schließlich Christoph Rans-
mayr ausgezeichnet, der Kraus auch den Anton-Wildgans-Preis zu verdanken
hatte und über dessen Roman Die letzte Welt (1988) Kraus festgehalten hatte:
„[G]ebildet, humanistische Vorlieben […]. Ästhetisierend. […] Sehr mythisch,
‚postmodern‘, […] symbolisch, leicht, originell in der natürlichen, nicht abge-
brauchten Sprache. Elegant, mitunter zu sehr stilisiert, zu überhöht.“330
Manès-Sperber-Preis
Auch aus einer anderen, von Kraus gegründeten Gesellschaft ging ein Preis her-
vor, nämlich der Manès-Sperber-Preis, der 1985 erstmals vergeben wurde. Sper-
326 Ders: Tagebuch, 27. September 1985, NL WK.
327 Ders. an Sławomir Mrożek, 12. Februar 1987, NL WK.
328 Ders.: Tagebuch, 18. Februar 1987, NL WK.
329 Ders.: Tagebuch, 19. März 1987, NL WK.
330 Ders.: Tagebuch, 18. Oktober 1988, NL WK.
Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
Literatur-Preise 269
Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Title
- Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Author
- Stefan Maurer
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23312-1
- Size
- 15.8 x 24.0 cm
- Pages
- 452
- Category
- Kunst und Kultur
Table of contents
- 1. EINLEITUNG: WOLFGANG KRAUS, EIN „KANTENLOSER HOMME DE LETTRES“? 9
- 2. DER ÖSTERREICHISCHE LITERATURBETRIEB NACH 1945 43
- 3. DIE ÖSTERREICHISCHE GESELLSCHAFT FÜR LITERATUR (1961–1975) 81
- 3.1 Gründung und Anfänge der Österreichischen Gesellschaft für Literatur 83
- 3.2 Einladungs- und Veranstaltungspolitik der ÖGL 98
- 3.3 Die ÖGL und das Konzept einer österreichischen Literatur 124
- 3.4 Die ÖGL und „Wort in der Zeit“ 142
- 3.5 Eine „Heimatadresse“? Die ÖGL und die Exilliteratur 155
- 3.6 Forum der Jugend 180
- 3.7 Bemühungen um die Literatur der östlichen Nachbarn 183
- 3.8 Resümee 190
- 4. „DAS MANAGEMENT REISST NICHT AB“. WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE LITERATUR 193
- 5. KONTAKTPERSON, VERMITTLER, DOLMETSCHER: WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE KULTURPOLITIK 297
- 6. WOLFGANG KRAUS’ NETZWERKE IM KULTURELLEN KALTEN KRIEG 355
- 7. RESÜMEE 399
- 8. LITERATURVERZEICHNIS 403
- 9. PERSONENREGISTER 437