Page - 291 - in Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
Image of the Page - 291 -
Text of the Page - 291 -
cken.“439 Kraus dürfte die „Notbremse“ gezogen haben und wollte sich mit Kuh-
ner ins Einvernehmen setzen. Es kam schließlich zu einer vorläufigen Einigung:
Kraus dürfte über den mit Kuhner befreundeten Opel um Vermittlung gebeten
haben, um einem weiteren Image-Schaden seiner Person entgegenzuwirken:
„Am 21. Juli 1976 informierte mich Herr Adolf Opel über ein von Ihnen für
nächste Woche vorgeschlagenes Treffen zwischen Ihnen und mir“, schrieb Kuh-
ner an Kraus, der einem Treffen zustimmte, insofern es „zwischen uns fruchtbar
wäre“.440
Zusätzlich schrieb Kraus noch auf offiziellem Briefpapier des Bundesminis-
teriums für Auswärtige Angelegenheiten, dass der Gegenstand „auf einem Miß-
verständnis“ beruhe, kein Boykott habe stattgefunden, sondern „aus budgetären
Gründen“ konnte dem Ansuchen um ein Reisestipendium nicht stattgegeben
werden, „wie Sie aus der Tatsache ersehen können, daß kein anderer österrei-
chischer Autor die Reisekosten dorthin vergütet erhielt“.441
Kraus wollte Kuhner für eine Lesung seiner Werke in die ÖGL einladen, wobei
er ihm die „Zusammenstellung des Programm[s]“ überließ.442 Kuhner bedank-
te sich für den Brief und die Einladung443 und „was very pleased to receive the
invitations and the poster“, er hoffte, „it will be possible to publicize the reading
with radio and TV interviews“.444
Das Ministerium fragte auch bei Jeannie Ebner hinsichtlich ihrer Einschät-
zung der Situation an. Ebner, die zu dieser Zeit „Literatur und Kritik“ redakti-
onell leitete, erinnerte sich daran, dass Kuhners Gedichte 1968 von Gerhard
Fritsch nicht zum Abdruck gebracht wurden, sie Kuhner später persönlich ken-
nengelernt habe und sie in Heft 52 vom März 1971 dann auch dessen Lyrik
gebracht habe. Sie konstatierte, dass „alle weiteren Klagen des Herrn Kuhner
gegen den Pen-Club, das Unterrichtsministerium und Herrn Dr.
Kraus“ sich als
„aus der Luft gegriffen“445 erwiesen hätten.
Am 14. Oktober 1976 fand eine Lesung von Kuhners Gedichten in der ÖGL
statt, die unter dem Titel Broadsides and Pratfalls erschienen waren, vorgelesen
von Gerald Florian, einem Mitglied des Burgtheater-Ensembles. Damit war Kuh-
ner vermutlich der erste Autor, der die Präsentation seine Werke in der ÖGL
erzwungen hatte. Er versuchte, Kraus für seine weiteren Projekte zu interessie-
439 Notiz von B., 9. Juli 1976, ÖGL-Archiv.
440 Herbert Kuhner an Wolfgang Kraus, o. D., ÖGL-Archiv.
441 Wolfgang Kraus an Herbert Kuhner, 29. Juli 1976, ÖGL-Archiv.
442 Ders. an Herbert Kuhner, 5. August 1976, ÖGL-Archiv.
443 Herbert Kuhner an Wolfgang Kraus, o.
D. [Antwort auf Brief von Kraus vom 5.
August 1976],
ÖGL-Archiv.
444 Ders. an Wolfgang Kraus, o. D., ÖGL-Archiv.
445 Jeannie Ebner an Bundesministerium für Äußere Angelegenheiten, Sektion 5, „Kontaktstelle“,
25. Februar 1977, ÖGL-Archiv.
Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
Polemiken und Kämpfe im Feld 291
Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Title
- Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Author
- Stefan Maurer
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23312-1
- Size
- 15.8 x 24.0 cm
- Pages
- 452
- Category
- Kunst und Kultur
Table of contents
- 1. EINLEITUNG: WOLFGANG KRAUS, EIN „KANTENLOSER HOMME DE LETTRES“? 9
- 2. DER ÖSTERREICHISCHE LITERATURBETRIEB NACH 1945 43
- 3. DIE ÖSTERREICHISCHE GESELLSCHAFT FÜR LITERATUR (1961–1975) 81
- 3.1 Gründung und Anfänge der Österreichischen Gesellschaft für Literatur 83
- 3.2 Einladungs- und Veranstaltungspolitik der ÖGL 98
- 3.3 Die ÖGL und das Konzept einer österreichischen Literatur 124
- 3.4 Die ÖGL und „Wort in der Zeit“ 142
- 3.5 Eine „Heimatadresse“? Die ÖGL und die Exilliteratur 155
- 3.6 Forum der Jugend 180
- 3.7 Bemühungen um die Literatur der östlichen Nachbarn 183
- 3.8 Resümee 190
- 4. „DAS MANAGEMENT REISST NICHT AB“. WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE LITERATUR 193
- 5. KONTAKTPERSON, VERMITTLER, DOLMETSCHER: WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE KULTURPOLITIK 297
- 6. WOLFGANG KRAUS’ NETZWERKE IM KULTURELLEN KALTEN KRIEG 355
- 7. RESÜMEE 399
- 8. LITERATURVERZEICHNIS 403
- 9. PERSONENREGISTER 437