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Es sei also nun die Aufgabe des Staates, die „von der großen Majorität der
Bevölkerung mißachtete, übersehene, beiseitegeschobene Kultur nicht dem tota-
len Ruin zu überlassen“.36 Kraus spricht hier dem Staat durchaus regulierende
Funktion hinsichtlich des künstlerischen Feldes zu. Er sieht es dabei als integ-
rale Mission des Staates, „jene Kultur zu fördern, die unserer Herkunft und unse-
rem Wesen entspricht: die aus der griechischen Antike und dem Christentum
stammende Kultur der Individualität und der Gemeinschaft der Individualitä-
ten“.37
Kraus bot einen „Maßnahmenkatalog“ an, wie dieser Situation beizukommen
wäre. Er sprach sich dafür aus, dass jene „Persönlichkeiten in staatliche Positi-
onen“ gelangen sollten, die eine Kultur aus dem Geist der griechischen Antike
und des Christentums stark machten, denn erst dann bestünde die Möglichkeit,
dass „auch die Konsumbürger langsam zur Bewußtheit heranwachsen“ und der
Staat hinsichtlich seiner kulturellen Förderungspraxis „in den Hintergrund“38
rückt. Weiter führt er „private Institutionen, Konzerne, Firmen“ ins Treffen, die
„von verschiedener Seite her kulturelle Initiativen unterstützen“ sollten, damit
„der Staat als einziger großer Mäzen der Kultur in den Demokratien deutlich
konkurrenziert“39 würde. Darüber hinaus schlug er vor, dass der Staat seine
Subventionen für kulturelle Einrichtungen ausbauen, also das Kulturbudget auf-
stocken sollte, bei staatlichen Preisen eine „vernünftige Zusammenstellung der
Jury“ zu erfolgen habe, und er wollte „Institutionen wie Arts-councils“ gegrün-
det sehen, wobei darauf zu achten wäre, dass diese nicht in „groteske Dimensi-
onen und Bürokratien ausarten“.40
Zusammenfassend hält Kraus fest, dass es falsch wäre, Kultur und Kunst
„grundsätzlich als Widerstand und Opposition zu sehen – sie ist mehr“. Für
Kraus steht Kultur am „Beginn der Staatsordnung und der Gestaltung des All-
tags“41 „In den westlichen Demokratien entspricht die kulturelle Identität gemäß
den historischen Tatsachen den christlichen Grundlagen“, so Kraus weiter, „und
alle Entwicklungen – ob dies gefällt oder nicht – werden deren Umriß und Maß
beachten müssen, soll der Bau nicht zusammenstürzen.“42
Der „Kulturpolitiker“ Kraus stand hier jedoch dem „Kulturkritiker“ Kraus
im Weg, dürften doch seine appellative Programmatik und teilweise utopischen
Idealvorstellungen von Kultur an bürokratischen Strukturen gescheitert sein.
Den Hauptgegner der Kultur sah Kraus in einem Phänomen, das die Nachkriegs-
36 Ebd., S. 459.
37 Ebd.
38 Ebd., S. 460.
39 Ebd., S. 461.
40 Ebd., S. 462.
41 Ebd., S. 464.
42 Ebd.
Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
306 Kontaktperson, Vermittler, Dolmetscher
Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Title
- Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Author
- Stefan Maurer
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23312-1
- Size
- 15.8 x 24.0 cm
- Pages
- 452
- Category
- Kunst und Kultur
Table of contents
- 1. EINLEITUNG: WOLFGANG KRAUS, EIN „KANTENLOSER HOMME DE LETTRES“? 9
- 2. DER ÖSTERREICHISCHE LITERATURBETRIEB NACH 1945 43
- 3. DIE ÖSTERREICHISCHE GESELLSCHAFT FÜR LITERATUR (1961–1975) 81
- 3.1 Gründung und Anfänge der Österreichischen Gesellschaft für Literatur 83
- 3.2 Einladungs- und Veranstaltungspolitik der ÖGL 98
- 3.3 Die ÖGL und das Konzept einer österreichischen Literatur 124
- 3.4 Die ÖGL und „Wort in der Zeit“ 142
- 3.5 Eine „Heimatadresse“? Die ÖGL und die Exilliteratur 155
- 3.6 Forum der Jugend 180
- 3.7 Bemühungen um die Literatur der östlichen Nachbarn 183
- 3.8 Resümee 190
- 4. „DAS MANAGEMENT REISST NICHT AB“. WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE LITERATUR 193
- 5. KONTAKTPERSON, VERMITTLER, DOLMETSCHER: WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE KULTURPOLITIK 297
- 6. WOLFGANG KRAUS’ NETZWERKE IM KULTURELLEN KALTEN KRIEG 355
- 7. RESÜMEE 399
- 8. LITERATURVERZEICHNIS 403
- 9. PERSONENREGISTER 437