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als einem derjenigen „‚theresianischen Menschen‘“ gewidmet, die ihn inspiriert
hätten, „Österreich zu verstehen“.46 Kraus arbeitete kontinuierlich an der Iden-
tität der Zweiten Republik mit und sah sich in einer Reihe mit anderen zentra-
len Akteuren der österreichischen Kulturpolitik nach 1945: „In einer […] Koin-
zidenz waren [Alfred] Weikert im U[nterrichts]M[inisterium], [Ernst]
Haeusserman an der Burg, [Herbert von] Karajan an der Oper, [Franz] Stoß in
der ‚Josefstadt‘, [Fritz] Molden der Verlagskönig […] und ich der Literaturmann.
Von diesen 5 Schlüsselfiguren waren 4 Altschotten. Und wie hat das meiste geen-
det!“47 Weikert, Stoß, Haeusserman und Molden waren Kraus’ Schottengymna-
sium-Clique, möchte man diesen Personenkreis an Intimi noch ergänzen, so
muss man auch den damaligen ORF-Generalintendanten Gerd Bacher anführen.
Kraus spielte seit den 1960er Jahren eine wichtige Rolle in der österreichi-
schen Kulturpolitik, und seine Position sah er dabei folgendermaßen: „Kontakt-
personen, Vermittler, Dolmetscher zwischen Staatsmännern, Politikern und
Intellektuellen, Autoren, Künstlern, Figuren des Kulturlebens und der Massen-
medien nötig – sie zu suchen, wurde jahrzehntelang (seit 45) vernachlässigt,
versäumt. In Wien habe ich eine solche Rolle gespielt.“48
Die Entwicklung der österreichischen Kulturpolitik von den „dunklen 1950er
Jahren“, als bei den Funktionären Einigkeit über die Abwehr gegen alles „Moder-
ne“ herrschte und vor allem das „gedruckt und ausgezeichnet“ wurde, was man,
wie Evelyne Polt-Heinzl konstatiert hat, als das „Überkommene“ bezeichnen
kann,49 bis zirka Ende der 1980er Jahre, soll im Folgenden kursorisch skizziert
werden. Nach 1945 waren die Schlüsselpositionen im Kulturbetrieb rasch wie-
der in die Hände der „Übriggebliebenen“50 gelangt, um ein Diktum Milo Dors
anzuführen, also jener Funktionäre, die bereits im Austrofaschismus mit Ämtern
und Ehren ausgezeichnet worden waren. Die Demokratisierung und Entnazifi-
zierung des Kulturbetriebs müssen als gescheitert gelten. Wie Joseph McVeigh
festgestellt hat, wurde bald nach Ende des Zweiten Weltkrieges das „Vorhanden-
sein einer unbelasteten nicht-emigrierten Literatur“51 zum grundsätzlichen
Prinzip der Kulturpolitik erhoben.
46 William
H. Johnston: Der österreichische Mensch. Kulturgeschichte der Eigenart Österreichs.
Wien, Köln, Graz: Böhlau 2010 (= Studien zur Politik und Verwaltung 94), S. 5.
47 Wolfgang Kraus: Tagebuch, 13. Juni 1984, NL WK.
48 Ders.: Tagebuch, 9. Juli 1986, NL WK.
49 Vgl. Evelyne Polt-Heinzl: Kulturskandale der 1970er Jahre. In: Dies. (Hg.): Staatsoperetten.
Kunstverstörungen. Das kulturelle Klima der 1970er Jahre. Wien: Dokumentationsstelle für
neuere österreichische Literatur 2009 (= Zirkular Sondernummer 75), S. 9–42.
50 Milo Dor: Revolte der Mittelmäßigkeit. In: FORVM 1 (1954), H. 2, S. 18.
51 Joseph McVeigh: Kontinuität und Vergangenheitsbewältigung in der österreichischen Litera-
tur nach 1945. Wien: Braumüller 1988 (= Untersuchungen zur österreichischen Literatur des
20. Jahrhunderts 10), S. 120.
Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
308 Kontaktperson, Vermittler, Dolmetscher
Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Title
- Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Author
- Stefan Maurer
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23312-1
- Size
- 15.8 x 24.0 cm
- Pages
- 452
- Category
- Kunst und Kultur
Table of contents
- 1. EINLEITUNG: WOLFGANG KRAUS, EIN „KANTENLOSER HOMME DE LETTRES“? 9
- 2. DER ÖSTERREICHISCHE LITERATURBETRIEB NACH 1945 43
- 3. DIE ÖSTERREICHISCHE GESELLSCHAFT FÜR LITERATUR (1961–1975) 81
- 3.1 Gründung und Anfänge der Österreichischen Gesellschaft für Literatur 83
- 3.2 Einladungs- und Veranstaltungspolitik der ÖGL 98
- 3.3 Die ÖGL und das Konzept einer österreichischen Literatur 124
- 3.4 Die ÖGL und „Wort in der Zeit“ 142
- 3.5 Eine „Heimatadresse“? Die ÖGL und die Exilliteratur 155
- 3.6 Forum der Jugend 180
- 3.7 Bemühungen um die Literatur der östlichen Nachbarn 183
- 3.8 Resümee 190
- 4. „DAS MANAGEMENT REISST NICHT AB“. WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE LITERATUR 193
- 5. KONTAKTPERSON, VERMITTLER, DOLMETSCHER: WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE KULTURPOLITIK 297
- 6. WOLFGANG KRAUS’ NETZWERKE IM KULTURELLEN KALTEN KRIEG 355
- 7. RESÜMEE 399
- 8. LITERATURVERZEICHNIS 403
- 9. PERSONENREGISTER 437