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terium einiges, ein Dorn im Auge war ihm der noch unter Unterrichtsminister
Leopold Gratz als Konsulent ins Ministerium geholte Publizist und sozialdemo-
kratische Kulturtheoretiker Fritz Herrmann, der auch unter Gratz’ Nachfolger
Sinowatz „politischer Beamter“71 blieb. Seine die offizielle Förderungs- und Kul-
turpolitik angreifende Polemik Trara Trara, die Hochkultur (vgl. Kapitel 4.4), die
1977 im „NEUEN FORVM“ erschien, bedeutete jedoch das Ende seiner politi-
schen Karriere.
Zur Kulturpolitik Bruno Kreiskys merkte Kraus gegenüber Sperber an, dass
er diese „nicht aus voller Überzeugung mitmache, denn die Einfälle, wie man
die im Ausland lebenden Österreicher, bzw. Persönlichkeiten, die Österreich
nahestehen, enger mit dem Land verbindet, gibt es in Fülle, es fehlt nur Geld
und guter Wille. Ich bin leider heute der Ansicht, daß Kreisky beides nicht auf-
bringt, da es ihm nur um reine Machtpolitik geht.“72
Schlussendlich dürfte er mit dem neuen Bundeskanzler ein Arrangement
gefunden haben: „Nichtsdestoweniger habe ich die von Kreisky in einem Gespräch
mit mir gewünschte Aktion durchgeführt, damit ich, pochend auf die Antwor-
ten, Geld für Gäste, Wohnungen, Mittel für Vortragsreisen, Einfluß auf die Uni-
versitäten, vielleicht Gastprofessoren einzuladen etc. mobilisieren kann.“73 Even-
tuell störte sich Kraus hier auch daran, dass diese groß angelegte kulturpolitische
Initiative unter Kreisky bereits im kleineren Rahmen mit der ÖGL begonnen
worden war, ihr jedoch nun weniger Aufmerksamkeit von Seiten der Politik
geschenkt wurde.
Von seinem Arrangement mit sozialdemokratischen Funktionären und Politi-
kern zeugen Kraus’ Posten als Konsulent im gewerkschaftseigenen Europa-Ver-
lag (1971 bis 1975) sowie im Außenministerium (1975 bis 1981). Für Kraus, der
bis dahin nur während seiner Arbeit für den Zsolnay-Verlag in den 1950er Jah-
ren eine Fixanstellung gehabt hatte, gingen mit der sozialdemokratischen Peri-
ode vertraglich festgelegte Verhältnisse einher. In einer Tagebucheintragung
anlässlich seines Engagements für die „Kulturkontaktstelle“ hielt er sein ambi-
valentes Verhältnis zu den „Apparaten“ fest: „Nach fast 20 Jahren freier literari-
scher Tätigkeit […] wieder angestellt, wenn auch nur zu 60 %. Ein merkwürdi-
ges, eher beengendes Gefühl, trotz allem Schutzverlangen mit zunehmendem
Alter. Seit dem deutschen Militär und den Nazis habe ich einen heftigen Wider-
stand gegen große Apparate – die doch heute wichtiger sind denn je und immer
wichtiger werden.“74
71 Ders. an Manès Sperber, 3. Februar 1974, NL WK.
72 Ders. an Sperber, 13. September 1970, NL WK.
73 Ebd.
74 Ders.: Tagebuch, 30. Juli 1975, NL WK.
Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
Jenseits der Parteipolitik? 313
Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Title
- Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Author
- Stefan Maurer
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23312-1
- Size
- 15.8 x 24.0 cm
- Pages
- 452
- Category
- Kunst und Kultur
Table of contents
- 1. EINLEITUNG: WOLFGANG KRAUS, EIN „KANTENLOSER HOMME DE LETTRES“? 9
- 2. DER ÖSTERREICHISCHE LITERATURBETRIEB NACH 1945 43
- 3. DIE ÖSTERREICHISCHE GESELLSCHAFT FÜR LITERATUR (1961–1975) 81
- 3.1 Gründung und Anfänge der Österreichischen Gesellschaft für Literatur 83
- 3.2 Einladungs- und Veranstaltungspolitik der ÖGL 98
- 3.3 Die ÖGL und das Konzept einer österreichischen Literatur 124
- 3.4 Die ÖGL und „Wort in der Zeit“ 142
- 3.5 Eine „Heimatadresse“? Die ÖGL und die Exilliteratur 155
- 3.6 Forum der Jugend 180
- 3.7 Bemühungen um die Literatur der östlichen Nachbarn 183
- 3.8 Resümee 190
- 4. „DAS MANAGEMENT REISST NICHT AB“. WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE LITERATUR 193
- 5. KONTAKTPERSON, VERMITTLER, DOLMETSCHER: WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE KULTURPOLITIK 297
- 6. WOLFGANG KRAUS’ NETZWERKE IM KULTURELLEN KALTEN KRIEG 355
- 7. RESÜMEE 399
- 8. LITERATURVERZEICHNIS 403
- 9. PERSONENREGISTER 437